Wer anders liebt (German Edition)
Bußgeld.«
»Wie denkst du über das Ehepaar Ris?«
»Kristine Ris ist intelligent«, meinte Sejer, »und Frauen sind zuverlässigere Zeuginnen als Männer. Sie merken sich andere Dinge, kleine Dinge. Wie einen Blick oder eine Stimmung. Das mit Hans Christian Andersen ist interessant, interessant auch, dass ihr das aufgefallen ist. Der hatte schon ein besonderes Aussehen, weißt du noch?«
»Nein.«
»Er war nicht besonders attraktiv«, sagte Sejer, »wenn ich mich richtig erinnere, hatte er etwas von einem Fuchs.«
»Inwiefern?«
»Ach, das war nur so ein Gedanke. Aber ich glaube nicht, dass sein Aussehen seinem poetischen Wesen entsprach.«
»Das hässliche Entlein«, sagte Skarre.
»Genau.«
Sejer ging zum Fenster, blieb stehen und starrte auf die chaotische Straße hinaus.
»Wie heißt Jonas Augusts Mutter? Hast du das notiert?«
»Sie heißt Elfrid«, sagte Skarre. »Elfrid Løwe. Sie wohnt draußen in Huseby im Granatvei. Willst du sie anrufen, um ihr zu sagen, dass wir kommen?«
»Sie ist zu Hause«, antwortete Sejer. »Sie wartet, also fahren wir.«
»Du willst den Pastor nicht dazu bitten?«, fragte Skarre.
»Nein, das will ich nicht.«
»Warum nicht?«, fragte Skarre.
»Weil ich das besser kann ohne ihn.«
Aber noch während er sprach, kamen ihm Zweifel. Was sollte er denn überhaupt sagen?
Wir haben oben bei Linde einen kleinen Jungen gefunden. Er passt zu deiner Beschreibung von Jonas August, und deshalb musst du morgen früh in die Gerichtsmedizin kommen, damit wir bestätigen oder widerlegen können, dass es sich bei dem Toten um deinen Sohn handelt. Diese Worte würden gesagt werden. Und von einer Sekunde auf die andere würde ihr Leben von Ordnung ins Chaos kippen.
»Lass schon mal den Wagen an«, sagte er.
Skarre griff nach seiner Jacke und verschwand. Sejer ging durch das Zimmer, er betrachtete die Bilder an der Wand, seine Tochter Ingrid und deren Sohn, Matteus, einen hochgewachsenen, athletischen Teenager. Er stand einfach da und sah sie an, als Erinnerung daran, wie hart es ist, die zu verlieren, die uns am allernächsten stehen. Er hatte keine Worte dafür, aber aus naheliegenden Gründen würde er welche finden müssen. Elfrid Løwe würde ihm in die Augen sehen und eine Erklärung verlangen.
Sie sah sie durch das Fenster.
Sofort kam sie aus dem Haus gestürzt. Sejer ging über den Kiesweg, mit schweren, bedächtigen Schritten. Diese Langsamkeit bestätigte sie in ihren Befürchtungen.
»Elfrid Løwe?«
Sie ignorierte seine ausgestreckte Hand. Stattdessen klammerte sie sich ans Treppengeländer.
»Dürfen wir eintreten?«, fragte Sejer.
Sie schüttelte entschlossen den Kopf. Sie war klein und schmächtig wie ihr Sohn, und sie trug ein kurzes, geblümtes Kleid in rosa und türkis. Sie spielte nervös an einer Schleife im Halsausschnitt herum, ihre Hände waren mager, die Adern traten hervor.
»Ich will es hier auf der Treppe hören«, sagte sie. »Sofort.«
»Mir wäre es lieber, wir gingen ins Haus«, sagte Sejer bittend, »und setzten uns.«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Jetzt reden Sie schon«, rief sie. »Sagen Sie, was los ist!«
Sejer legte ihr die Hand auf den Arm.
»Sie müssen sich setzen.«
Endlich ging sie ins Haus, sie stellte sich mitten ins Wohnzimmer und trat mit nervösen, rhythmischen Bewegungen von einem Fuß auf den anderen.
»Setzen Sie sich«, bat Sejer.
Seine gebieterische Stimme brachte sie dazu, sich aufs Sofa sinken zu lassen.
»Wir haben einen kleinen Jungen gefunden«, sagte er nun, »oben im Linde-Wald. Nicht sehr weit vom See entfernt. Er war seit einigen Stunden tot. Und es fällt mir schwer, das zu sagen, aber er ähnelt Ihrer Beschreibung von Jonas August.«
»Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Wir glauben es aber«, sagte Sejer.
Sie schüttelte immer wieder den Kopf, wie ein trotziges Kind, das seinen Willen nicht durchsetzen kann.
»Morgen wird er nach Oslo in die Gerichtsmedizin gebracht«, sagte Sejer. »Sie müssen uns dann begleiten, und wir erledigen das zusammen.«
»Morgen?«, fragte sie verständnislos. Ihre Hände irrten über den Tisch.
»Aber wo ist er jetzt? Wo wird er heute Nacht sein?«
Sie hob eine Hand und biss in die Fingerknöchel, während sie auf eine Antwort wartete. Sie starrte Sejer an, ihr Blick stellte Forderungen.
»Wir haben ihn noch nicht holen können«, sagte Sejer.
»Nicht holen können? Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Es gibt eine ganze Reihe
Weitere Kostenlose Bücher