Wer anders liebt (German Edition)
finden«, sagte Sejer.
Aber er hätte ein Grab ausheben können. Ihr hättet wertvolle Zeit verloren und er hätte sich einen Vorsprung gesichert. In zwei Monaten kommt der Schnee und alles gefriert.
Keinen Vorsprung, sagte Sejer. Nur einen Aufschub.
Er redete und redete und fühlte sich zugleich auf seltsame Weise gespalten. Ein Teil von ihm handelte professionell, ein anderer beobachtete. Die Gesichter in der Runde, die bedrückte Stimmung, eine Fliege, die über den Tisch kroch und beim Mikrofonständer verharrte.
Werden Sie vorbestrafte Pädophile überprüfen?
Das Gesetz schreibt vor, dass wir nur dann Vernehmungen vornehmen dürfen, wenn ein Verdacht besteht.
Haben Sie am Tatort etwas Interessantes gefunden?
Dazu kann ich keinen Kommentar abgeben.
Dieser Mann, der bei der Mautschranke beobachtet worden ist. Hat der sich auffällig verhalten?
Kein Kommentar.
Hatten Sie hier auf dieser Wache schon einmal einen ähnlichen Fall?
Das hatten wir nicht.
Bedeutet das, dass Sie sich auf unbekanntem Boden bewegen?
Nein.
Wie lange war der Junge schon tot, als er gefunden wurde?
Der Gerichtsmedizin zufolge nur wenige Stunden.
Gibt es irgendetwas, das diesen Fall von anderen Fällen unterscheidet?
Aber da erhob sich Sejer, um zu zeigen, dass die Konferenz beendet war.
Solche Fälle sind immer einzigartig, sagte er. Und es gab nur einen Jonas August.
9
Sejers Schreibtischsessel war von Kinnarps, er hatte ihn von seinem eigenen Geld gekauft. Das Untergestell war aus Stahl, der Sitz konnte gehoben und gesenkt werden, der Rücken zurückgelehnt, und ein Handgriff verwandelte den Sessel in einen Schaukelstuhl. Aber Sejer schaukelte nicht gern, deshalb benutzte er den dazugehörigen Griff nie. Unter dem Schreibtisch schlief der Hund, Frank Robert, ein chinesischer Shar Pei, der runzlige Kopf ruhte auf den Pfoten. Der Hund hatte das gleiche Gemüt wie seine Landsleute, er war unzugänglich und würdevoll, und er bellte nie, sondern stieß nur ein seltenes Mal ein unzufriedenes Schnauben aus. Sejer wählte die Nummer der Gerichtsmedizin und fragte nach Snorrason. Als er dessen Stimme hörte, roch er beinahe den Karamellgeruch des Pfeifentabaks, der Snorrason immer umgab.
»Wie weit bist du gekommen?«, fragte er.
»Ich bin schon ziemlich weit«, antwortete Snorrason, »und auch wenn noch vieles unklar ist, steht Folgendes fest: Der Junge ist zweifellos an Sauerstoffmangel gestorben.«
»Wir reden also von Erwürgen?«
»Das ist ja gerade das Seltsame, ich weiß nicht, was passiert ist. Die Ergebnisse sind nicht eindeutig, ich brauche mehr Zeit.«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Sejer. »Wenn er keinen Sauerstoff bekommen hat, dann doch wohl, weil jemand es verhindert hat. Mit einer Hand oder einem Kissen. Oder willst du sagen, dass ihm etwas im Hals stecken geblieben ist?«
»Das ganz bestimmt nicht. Und ich verstehe es auch noch nicht«, sagte Snorrason. »Aber ich glaube, das hier ist anders, als es aussieht. Ich muss erst einmal telefonieren.«
»Wen willst du anrufen?«
»Unter anderem Elfrid Løwe. Ich habe einen Verdacht und gebe dir Bescheid, wenn er sich bestätigen sollte.«
»Und hast du das gefunden, was uns am meisten helfen würde?«
»Du meinst Genmaterial?«
»Ja?«
»Das habe ich gefunden«, sagte Snorrason. »Wenn du den Täter findest, dann haben wir unwiderlegbare Beweise.«
»Gut«, sagte Sejer. »Sonst noch was?«
»Bisher nicht. Der Junge hat nicht mal einen blauen Fleck, und das haben solche Jungs doch sonst immer.«
»Machst du den Bericht heute Abend noch fertig?«
»Ich fax ihn nachher rüber. Warte doch so lange im Büro.«
Sejer bedankte sich und legte auf. Er öffnete die Manschette seines linken Hemdsärmels und kratzte sich am Ellbogen. Er litt unter Schuppenflechte und eine Fläche von der Größe eines Zwanzigkronenstückes war rot und gereizt. Er las die inzwischen eingetroffenen Berichte. In regelmäßigen Abständen schaute er verdrossen zum Faxgerät hinüber. Endlich klingelte das Telefon, es war Snorrason.
»Ich habe mit Frau Løwe gesprochen«, sagte er. »Jonas August hatte Asthma.«
»Und? Spielt das eine Rolle?«
»Der Übergriff hat einen heftigen Anfall ausgelöst. Und wenn ich es richtig sehe, hat dieser Anfall ihn das Leben gekostet.«
10
Das Haus von Reinhardt und Kristine Ris war stattlich und gepflegt, es war weiß gestrichen und hatte grüne Fensterrahmen und niederländische glasierte Dachziegel. Es war neunzehnhundertzwanzig
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