Wer bin ich ohne dich
Muster sind:
Schwarz-Weiß-Denken: Für Depressive gibt es nur ein Entweder-oder. Entweder sind sie perfekt oder sie sehen sich sofort als Versager.
Übergeneralisation: Ein einziges Ereignis, etwa die Zurückweisung durch einen Menschen, wird auf alle übertragen (»Niemand mag mich.«).
Negativer mentaler Filter: Depressive nehmen häufig nur die negativen Aspekte eines Ereignisses wahr. Zum Beispiel konzentrieren sie sich ausschließlich darauf, dass der Freund, den sie auf der Straße getroffen haben, so kurz angebunden war. Sie haben nicht registriert, dass er spontan Freude zeigte, als sie ihm so plötzlich gegenüberstanden.
Disqualifizierung des Positiven: Positive Ereignisse werden nicht als solche wahrgenommen, oder sie werden uminterpretiert. Gelingt etwas, wird es als Zufall, Glück oder als wertlos dargestellt. Misserfolge dagegen legt sich der Betroffene immer selbst zur Last. Wie Studien zeigen, neigen vor allem Frauen zu dieser Disqualifizierung des Positiven: Sie machen sich für Misserfolge immer selbst verantwortlich, ihre Erfolge aber führen sie auf die günstigen Umstände zurück.
Personalisierung: Man sieht sich selbst als Ursache negativer Ereignisse, selbst wenn man überhaupt nicht dafür verantwortlich ist. Die Folge davon sind Schuldgefühle, Selbstzweifel und selbstwertschädliche Grübeleien. | 229 |
Nach der Theorie der kognitiven Verhaltenstherapie übernimmt ein depressiver Mensch zu viel Verantwortung für negative Ereignisse in seinem Leben. Wenn ihm etwas misslingt oder ihm ein Missgeschick passiert, hält er sich selbst für schuldig. Positive Ereignisse dagegen führt er auf Glück oder günstige Umstände zurück. In der Verhaltenstherapie lernen die Betroffenen, dass ihre negativen Gefühle durch ihre eigenen Gedanken entstehen und dass sie durch eine Veränderung der Gedanken auf ihre Gefühle positiv einwirken können.
Aber reicht es wirklich aus, depressive Menschen darin zu schulen, positiver und realistischer zu denken? Kann allein über die Veränderung der Denkstrukturen eine Depression gelindert oder gar geheilt werden? In jüngster Zeit wächst die Skepsis, was die Erfolge, vor allem die Langzeiterfolge, der weit verbreiteten verhaltenstherapeutischen Kurzzeitbehandlung angeht. Vor allem bei chronischen Depressionen, zu denen auch die Dysthymie zählt, an der vor allem Frauen erkranken, scheint diese Therapieform nicht die Methode der Wahl zu sein. Die Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber gibt zu bedenken, dass nur relativ gesunde Menschen das eigene Denken zum Positiven verändern können. »Einem wirklich chronisch depressiven Menschen hilft das nicht. Meine Erfahrung ist: Chronisch Depressive kennen diese Verhaltens- und Denkanweisungen, sie versuchen sich daran zu halten, aber sie scheitern immer wieder. Und fühlen sich noch schlechter, weil sie es nicht schaffen. All diese verhaltenstherapeutischen Rezepte schlagen bei diesen Patienten fehl.«
Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP): Selbst Verhaltenstherapeuten erkennen inzwischen die Begrenztheit ihrer Methode. Angesichts des bescheidenen Erfolgs existierender Kurztherapien bei Depressionen konstatiert beispielsweise | 230 | James McCullough, Professor für Psychologie und Psychiatrie an der Virginia Commonwealth University in Richmond, einen »klaren Bedarf an wirksameren Ansätzen«. Seiner Ansicht nach haben sich »die anderen Psychotherapieformen nicht sehr bewährt – die kognitive Therapie von Aaron Beck etwa oder die interpersonelle Psychotherapie von Gerald Klerman funktionieren einfach nicht gut.« Er fordert, was für tiefenpsychologisch oder psychoanalytisch arbeitende Therapeuten selbstverständlich ist: Eine effektive Therapie chronisch depressiver Menschen ist nur möglich, wenn die frühen Auslöser in der Kindheit und vorhandene Persönlichkeitsdefizite berücksichtigt werden. Auch die Tatsache, dass chronische Patienten häufig große Bindungsdefizite und Schwierigkeiten im sozialen Kontakt haben, dürfe in der psychotherapeutischen Arbeit nicht vernachlässigt werden.
Weil diese Aspekte von den herkömmlichen Kurztherapien nicht erfasst werden, hat James McCullough eine Behandlungsform speziell für hartnäckige Depressionen entwickelt, das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (etwa: gedanken- und verhaltensorientiertes Analysesystem der Psychotherapie), kurz CBASP.
Das CBASP erinnert in den Grundzügen stark an
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