Wer bin ich ohne dich
guten Abschluss bringen und die Weisheit der Königin für sich nutzen kann, sollte sie eines unbedingt wissen: Depression ist keine Krankheit, von der sie vollständig geheilt werden kann. Sie wird immer wieder Situationen erleben, in denen sie Anzeichen einer depressiven Reaktion an sich bemerkt. Aber für Frauen, die durch den Depressionsprozess gegangen sind, wird das kein erschreckender Gedanke mehr sein. Denn sie haben erfahren, dass die Dame in Schwarz nur dann anklopft, wenn in ihrem Leben wieder mal etwas in eine Schieflage geraten ist. Möglicherweise haben alte Verhaltensmuster erneut überhandgenommen, möglicherweise ist der Stress wieder zu groß geworden, möglicherweise sind die eigenen Erwartungen an sich selbst wieder aus dem Ruder gelaufen, möglicherweise gibt es zu wenig »Ich« und zu viel »Du«. Frauen, die Freundschaft mit ihrer Depression geschlossen haben, wissen deren Warnzeichen zu schätzen.
Eine Frau, die ihre Depression bewusst durchlebt und nicht als etwas betrachtet, was sie möglichst schnell wieder loswerden muss, akzeptiert, dass depressive Phasen zu ihrem Leben gehören. Sie weiß, dass sie besonders gut auf sich aufpassen muss, | 221 | wenn es viele Belastungen und viel Stress in ihrem Leben gibt. Sie weiß, dass Missstimmungen in der Partnerschaft, in der Familie, im Beruf oder mit Freunden für sie zwar schwer auszuhalten sind, dass sie aber keine Angst haben muss, von anderen verlassen zu werden, wenn sie für sich selbst einsteht. Sie achtet aufmerksamer auf ihre eigene Stimmung, analysiert, was sie fühlt, und handelt sofort und bewusst, um eine beginnende Depression abzuwehren. »Vielleicht drei oder vier Mal hatte ich das Gefühl, dass ich in eine Depression rutsche und ich dachte, oh je, was passiert hier … Und ich wusste, ich habe die Fähigkeiten, mich davor zu bewahren beziehungsweise schnell wieder herauszufinden. Es wird nicht mehr so schlimm wie es war«, meinte eine Betroffene.
Zur Klarheit, die am Ende einer depressiven Erkrankung steht, gehört schließlich noch eine weitere Erkenntnis: Wenn Frauen sich auf den Weg machen, sich aus ihrer Depression zu befreien und ihr eigenes, wahres Selbst zu entdecken, dann müssen sie unter Umständen mit heftigen Reaktionen ihres sozialen Umfeldes rechnen. Denn von der Bereitschaft der Frau, aus Stroh Gold zu spinnen, profitiert so mancher. Kann also sein, dass eine Frau, die ihre Depression überwunden hat, hin und wieder auf ein wütendes Rumpelstilzchen stößt. Ist sie dann in der Lage, die Frage »Wer bin ich ohne dich?« selbstbewusst mit »Ich« zu beantworten, wird ihr schnell bewusst: »Das Rumpelstilzchen hat ein Problem – und dieses Problem ist nicht meines.« | 222 |
Anhang
In der Versorgung depressiv Erkrankter gibt es »erhebliche diagnostische und therapeutische Defizite«, wie der Mediziner Hermann Spießl und seine Kollegen kritisieren. Insgesamt erfahren demnach nur zehn Prozent der depressiven Patienten eine adäquate Behandlung.
Was unter einer adäquaten Behandlung zu verstehen ist, steht inzwischen mehr denn je zur Diskussion. So viele Gesichter und Ausprägungen die Depression hat, so viele Therapiemöglichkeiten gibt es. Manche Experten schwören auf die Behandlung mit Psychopharmaka, andere halten Psychotherapien für die Methode der Wahl und wieder andere sehen das Heil in einer Kombination aus beidem. Zudem gibt es leider immer noch den Streit unter den Therapieschulen, von denen jede glaubt, die einzig wirksame Methode anzubieten.
Was hilft?
Ehe auf die einzelnen Therapiemöglichkeiten genauer eingegangen wird, soll vorneweg schon gesagt werden: Die einzig wahre Methode zur Behandlung von Depression gibt es nicht. Es geht für jede betroffene Frau darum, die für sie individuell richtige Therapie und – was noch wichtiger ist – den für sie richtigen Therapeuten beziehungsweise die richtige Therapeutin zu finden. | 223 |
Psychopharmaka
Medikamente sind vor allem bei schwereren, chronischen Depressionen unvermeidlich. Doch manchmal verschreiben Ärzte auch bei der unipolaren Depression, der Dysthymie (unter der vor allem Frauen leiden) ein Antidepressivum, wenn sich die Erkrankte in einer besonders krisenhaften Situation befindet. Am häufigsten kommen bei der Depressionstherapie die sogenannten trizyklischen Antidepressiva zum Einsatz. Man nimmt an, dass diese Medikamente auf jene Neurotransmitter im Gehirnstoffwechsel einwirken, die bei Depressiven in geringer Menge vorhanden sind
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