Wer Bist Du, Gott
Personen Probleme haben.
Das Gespräch mit einem Psychologen hat mir das neu vor Augen geführt. Er hatte lange auch im buddhistischen Bereich gesucht. Nun wendet er sich neu seinen christlichen Wurzeln zu. Er erzählte mir von Klienten, die davon schwärmten, mit dem Göttlichen zu verschmelzen - nicht mit Gott als einem Gegenüber. Er meinte, oft würden sie damit nur ihre Beziehungsunfähigkeit religiös überhöhen. Anstatt ihre Beziehungsunfähigkeit zu betrauern, überspringen sie sie. Sie kompensieren ihre Beziehungsprobleme, indem sie sich in eine apersonale Spiritualität hineinflüchten.
Doch diese Form der Spiritualität heilt ihre Wunde nicht. Vielmehr ist es eine Kompensation. Sie weigern sich, sich ihrer Sehnsucht nach Beziehung zu stellen. Stattdessen stellen sie sich über die Menschen: Die Menschen, die sich nach Beziehung sehnen, hätten ja keine Ahnung von Spiritualität. Sie sind auf einem niedrigeren spirituellen Niveau. Indem sie sich als etwas Besonderes fühlen, brauchen sie sich dem Schmerz ihrer Beziehungsunfähigkeit nicht zu stellen. Ich spüre, wie ich ärgerlich werde, wenn diese spirituellen Menschen dann auf uns herabschauen, die wir ja noch nicht so weit sind und daher noch einen personalen Gott brauchen.
WUNIBALD MÜLLER: Ich halte es hier mit Martin Buber. Er schreibt in Ich und Du (1974, S. 95): »Man findet Gott nicht, wenn man in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht.Wer mit dem ganzen Wesen zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den man nicht suchen kann.«
ANSELM GRÜN: Martin Bubers Erkenntnis, dass das Ich am Du wird, ist für mich auch in meiner Beziehung zu Gott entscheidend. Die jüdische, islamische und christliche Spiritualität, die Gott immer als Person, als Du, als Gegenüber gesehen hat, hat eine hohe Form von Interpersonalität geschaffen. Und an dieser Kultur der Begegnung möchte ich festhalten.Wenn Menschen nur von der Verschmelzung mit dem Göttlichen sprechen, überspringen sie diese Kultur. Dann existieren sie nur nebeneinander. Sie haben zwar manchmal den Eindruck, sie würden sich mit allen Menschen
eins fühlen. Aber dieses Aufgehen im Menschlichen ist nur ein Überspringen der personalen Begegnung. Es führt den Menschen nicht weiter. C.G. Jung hat vor der Auflösung des Selbst gewarnt.
WUNIBALD MÜLLER: Darin finde ich mich gut wieder. Entscheidend ist auch für mich: Ich trete in eine Beziehung zu dem großen Geheimnis Gott, der Geheimnis bleibt und bleiben soll, zugleich aber steht er mir nicht allgemein als das Heilige, Unbegreifliche schlechthin gegenüber, sondern begegnet mir personal. Begegnet! Begegnung aber setzt ein Du voraus. Das gilt umso mehr, wenn es sich um eine Begegnung handelt, für die Liebe das entscheidende Kennzeichen ist.
ANSELM GRÜN: Ich habe Ende der 1960er-Jahre damit begonnen, Zen zu üben. Damals - mitten im Studium - war es für mich und die Mitbrüder, die ebenfalls übten, eine Offenbarung. Es tat gut, bei allem Studieren und aller intellektueller Beschäftigung mit Gott einfach nur schweigen zu können und sich Gott im Schweigen auszusetzen. Die Beschäftigung mit dem Zen-Weg und die Begegnung mit Graf Dürckheim haben uns geholfen, dann in der eigenen christlichen Tradition nach ähnlichen Wegen zu suchen.
Und da fanden wir heraus, dass die Mönche schon im dritten Jahrhundert auf ähnliche Weise meditiert hatten. Sie haben damals die Meditation nicht erfunden, sondern sie vermutlich aus ägyptischen Priesterkreisen oder von Anhängern des Pythagoras übernommen. Aber sie haben das, was sie dort angetroffen hatten, christlich getauft. Sie haben
den Atem mit einem Wort der Schrift verbunden, damit das Wort durch den Atem tief in die menschliche Seele eindringen kann.
Das Antlitz Gottes, das sich mir im Antlitz Jesu spiegelt
WUNIBALD MÜLLER: Das alles sind für mich Erfahrungen und Praktiken, die nicht in Konkurrenz treten zu meinem Glauben an einen persönlichen Gott oder einer innigen Beziehung zu Jesus. Diese Erfahrungen vertiefen meine personale Beziehung zu Gott. Sie tragen unter anderem dazu bei, Gott in meiner Tiefe, in meinem heiligen Grund zu erfahren. Sie erweitern meine Beziehung zu Gott. Sie ermöglichen es mir - zumindest manchmal -, in meinen Vorstellungen und in meiner Beziehung zu Gott nicht im Gegenständlichen, Vordergründigen, Oberflächlichen hängen zu bleiben, indem sie mich in die Tiefe meiner Seele
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