Wer Bist Du, Gott
Erfahrungen, die ich in meiner Partnerschaft, in meinen Freundschaften und immer wieder auch in therapeutischen Begegnungen machen darf. Da gibt es dann nur noch mich und dich. »Ich öffne Aug’ oder Ohr, oder ich strecke meine Hand aus, und fühle in demselbigen Augenblick unzertrennlich: Du und Ich; Ich und Du«, zitiert Martin Buber (1985, S. 301) den Philosophen Jacobi. Das ist nicht eines, aber auch nicht zwei.
ANSELM GRÜN: So ähnlich erlebe ich manchmal auch das Einssein mit Gott. Ich lasse mich von ihm anschauen und schaue auf ihn - ohne ein konkretes Antlitz zu sehen. Ich schaue in den Abgrund der Liebe und fühle mich eins mit Gott. Doch für diese Erfahrung des Einsseins gilt für mich immer noch die Erkenntnis der Konzilsväter von Chalcedon, die für die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur in Jesus Christus die Formel gebrauchten: unvermischt und ungetrennt.
Ich erfahre mich als ganz und gar eins mit Gott. Aber ich werde nicht mit Gott vermischt. Ich bleibe Mensch. Gott
durchdringt mich, seine Liebe durchströmt mich, seine göttliche Natur verwandelt mich. Aber ich bleibe dennoch diese menschliche Person. Nur so entgehe ich der Gefahr der Inflation, vor der C.G. Jung immer wieder warnt: der Gefahr, mich aufzublähen mit Gott, Gott für mein eigenes Ego zu benutzen, anstatt mich ihm zu ergeben und in ihm mich neu zu erleben.
Eine Einheit, die Liebe schafft
WUNIBALD MÜLLER: Sehr ansprechend drückt das, bezogen auf unsere Gottesbeziehung, Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Deus caritas est aus, wenn er schreibt: »Ja, es gibt Vereinigung des Menschen mit Gott - der Urtraum des Menschen -, aber diese Vereinigung ist nicht Verschmelzen, Untergehen im namenlosen Ozean des Göttlichen, sondern eine Einheit, die Liebe schafft, in der beide - Gott und der Mensch - sie selbst bleiben und doch ganz eins werden.«
Eine Einheit, die Liebe schafft, das ist für mich das entscheidende Kriterium. Ich kenne Menschen, die aus dem Gebet und der Meditation Kraft und Motivation für ihren Einsatz für andere Menschen schöpfen. Und die darin zur Verkörperung von Gottes Liebe werden. Bei ihnen und ihrem Einsatz spüre ich ihr Herz. Sie bleiben auf dem Boden der Wirklichkeit, können auch noch ein Kotelett oder einen schönen Wein genießen. Im Unterschied zu denen, die viele Stunden lang nach Plan meditieren und den Bezug zur
Wirklichkeit, den direkten Kontakt zu ihren Mitmenschen und zu Gott anscheinend verloren haben. Sie verbreiten eine sterile Atmosphäre.
ANSELM GRÜN: Wer sich selbst auflöst im Verschmelzen mit dem Göttlichen, der stellt sich letztlich über das, was Menschsein sonst ausmacht: die Begegnung mit einem Menschen, der mir die Augen öffnet für eine andere Sicht der Wirklichkeit, die Erfahrung von Gemeinschaft, die im Mahl und im Gespräch geschieht, und das Genießen der Gaben, die Gott uns in der Schöpfung schenkt.
Für mich ist daher die Demut die wichtigste Haltung in der Beziehung zu Gott. Die Demut ist ja zum einen der Mut, in die Tiefen der eigenen Menschlichkeit hinabzusteigen, zum anderen ist sie die Fähigkeit, mit beiden Füßen auf der Erde zu stehen, sich dem Alltäglichen, dem Erdhaften zuzuwenden. Manche benützen Spiritualität, um ihrer eigenen Erdhaftigkeit aus dem Weg zu gehen. Jesus wollte uns mit seiner Botschaft Leben in Fülle bringen. Aber manche machen sich auf den spirituellen Weg, um dem Leben auszuweichen, weil es zu gefährlich ist, sich dem Leben mit seinen Höhen und Tiefen, mit seiner Leidenschaft und seiner Sehnsucht zuzuwenden.
Der Weg in den Grund meiner Seele
WUNIBALD MÜLLER: Thomas Merton (2000) schreibt: »Jeden Tag nehme ich ein wenig mehr wahr, dass mein altes Leben zerbröckelt und schließlich mit der Zeit in Stücke zerfallen wird. Was dann?... ›Vereinigung mit Gott!‹ So geheimnisvoll das am Ende ist, man würde vielleicht alles tun, um es zu versuchen, sobald man erkannt hat, dass das das Ende der eigenen Ich-Selbst-Verwirklichung bedeutet, ein für alle Mal. Bin ich bereit? Natürlich nicht. Doch der Lauf meines Lebens steuert in diese Richtung.«
Wenn ich mich frage: »Bin ich bereit?«, muss ich genauso ehrlich gestehen wie Thomas Merton: »Natürlich nicht«. Dabei weiß ich und spüre ich ganz tief in mir, dass ich erst dann, wenn ich so weit bin, den Frieden finden werde, nach dem ich mich so sehr sehne. Ich spüre, ich bin »weiter« als noch vor Jahren. Ich spüre in mir eine größere
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