Wer Bist Du, Gott
führen, mich mit der Welt des Ewigen verbinden. Sind wir mit unserem Innersten in Berührung, können wir Gott in unserer Tiefe erfahren.
Für den Suchenden oder gar Gott-Suchenden ist das eine Offenbarung, ein Glück, wird ihm doch ein Weg aufgezeigt, der ihn näher zu Gott bringt: der Weg in die Tiefe, in die eigene Mitte - hin zur Quelle des Lebens, die in der Tiefe unserer Seele entspringt. Ich finde es daher faszinierend, dass, wie du sagst, die frühen Mönche es bereits verstanden
haben, eine Verbindung herzustellen zwischen Erfahrungen, die wir aus dem Zen oder der Meditation kennen, und einer personalen Beziehung zu Gott beziehungsweise Jesus.
ANSELM GRÜN: Am beliebtesten wurde schon im vierten Jahrhundert das sogenannte Jesus-Gebet. Beim Einatmen sagt man still: »Herr Jesus Christus«, beim Ausatmen: »Sohn Gottes, erbarme dich meiner!« Das Wort - so sagen die Mönche - schließt die Tür auf zum wortlosen Geheimnis Gottes, zum Raum der Stille, der aber nicht leer ist, sondern erfüllt vom Geist Jesu, von seiner Barmherzigkeit und Liebe. Für mich ist das Jesus-Gebet seit den frühen 1970er-Jahren zum täglichen Begleiter geworden und zum Ort, an dem ich immer wieder darauf hoffe, dass Christi Liebe meinen Leib und meine Seele durchdringt und mich prägt.
Der Weg des Jesus-Gebets verbindet für mich beides: die Erfahrung Jesu Christi als Gegenüber, in dem nicht nur die Person Jesu, sondern letztlich Gott selbst mich liebend anschaut, und zugleich die Erfahrung Jesu als Wegbegleiter in den inneren Raum der Stille. Dort nehme ich von Gott nichts Bestimmtes mehr wahr, sondern verzichte auf alle Bilder von Gott und öffne mich im Schweigen dem Unbeschreiblichen und Unbegreiflichen. Und doch ist Gott nicht reine Leere. Er ist nur Leere im Gegensatz zu allem, was sonst meinen Geist füllt. Auf dem Grund der Leere erahne ich dann doch das Antlitz Gottes, das sich mir im Antlitz Jesu spiegelt.
WUNIBALD MÜLLER: In einem Brief an seine Freundin Lucile Swan schreibt Pierre Teilhard de Chardin (in: Schiwy
2005, S. 163f.), »dass die größte Anstrengung und Schwierigkeit nicht darin besteht, sich ein attraktives Gesicht Gottes auszudenken - sondern es real zu nehmen und lebendig und präsent im Tiefsten von uns selbst und von jedem Ding. Und schließlich, Er allein kann Sich uns gegenwärtig machen: Wir können das Licht nicht ergreifen - sondern das Licht kommt zu uns. Wenigstens dies ist einer der großen Unterschiede zwischen christlicher und indischer Mystik, dass wir Gott nicht zu uns zwingen können. Aber wir können ihn bitten, zu ihm beten; und je erfahrener (oder wenigstens älter) ich bin, desto mehr bin ich überzeugt, dass das einfachste und das höchste der Gebete darin besteht, sich aktiv auf die zahllosen (kleinen und großen) Ereignisse des Lebens - deines eigenen Lebens - zu verlassen mit dem Vertrauen, dass genau diese Ereignisse, wenn sie mit ›Glauben und Liebe‹ aufgenommen und genutzt werden, der kürzeste und nächste Weg sind, eins zu werden mit dem Zentrum von allem.«
Sich aufzugeben bis zur Bereitschaft, nicht mehr sein zu wollen, um ganz Liebe zu werden, ist für den Pallottinerpater Johannes Kopp, ein Erfahrener im Zen, eine Weise der Gotteserfahrung. Sich ganz aufzugeben, um ganz Liebe zu werden - dazu bedarf es keiner Dogmatik, dazu bedarf es keines Lehrgebäudes über Gott, dazu bedarf es auch keiner Kirche. Sie können allenfalls im Dienst dieser Erfahrung stehen, können sie anbieten, dabei behilflich - und um alles in der Welt nicht hinderlich - sein. Erst wenn man diese Tatsache zurechtgerückt hat und das, worum es eigentlich geht, den ersten Platz eingenommen hat, dann erst können auch die Bedeutung von Kirche und die Bedeutung von
Lehre und Theologie gesehen und gewürdigt werden. Nur wenn sich Theologie und die Kirchen dessen noch mehr bewusst werden und das entsprechend würdigen, werden sie bei jenen auf Akzeptanz stoßen, die den mystischen Weg für sich erkannt haben und konsequent gehen.
Wer den mystischen Weg geht, wird irgendwann feststellen, dass er in sich Bereiche betritt, tief in sich Erfahrungen macht, die ein gesprochenes oder gedachtes Wort über Gott nur blass erscheinen lassen.Theologische Diskussionen, mitunter auch Gezänk, kleinkariertes kirchliches Denken und Verhalten, sehr menschliches Gehabe kirchlicher Verantwortlicher - das alles berührt nur die Oberfläche. Es kommt aus einer Welt, die noch nicht durchtränkt, die noch
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