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Wer Bist Du, Gott

Titel: Wer Bist Du, Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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nicht erfasst und berührt worden ist von jener Welt, jenem Bereich in uns - dem tiefsten Seinsgrund -, den ich betreten darf, in den ich vielleicht gelange, wenn ich bereit bin, mich aufzugeben. Es schließt mit ein, alles aufzugeben, an dem ich mich sonst orientiert und festgehalten habe, einschließlich der Theologie und Kirchen, um ganz Liebe zu werden.

Mit dem unbegreiflichen Gott eins werden
    ANSELM GRÜN: Vereinigung mit Gott, mit dem unbegreiflichen Gott eins zu werden, das ist das Ziel aller Mystik. Das ist auch das Ziel, das ich als Mönch anstrebe.Aber durch das Studium der Schriften der Wüstenväter und durch eigene Erfahrung weiß ich, dass es immer nur ab und zu eine
solche Einheitserfahrung gibt. In einer Meditation oder in einer stillen Wanderung durch die Natur fühle ich mich auf einmal ganz eins - eins mit mir selbst, eins mit allem, was ist, eins mit allen Menschen und eins mit Gott, dem Grund allen Seins. Doch im nächsten Augenblick fühle ich wieder die innere Zerrissenheit und Unruhe. Ich kann die Erfahrung des Einsseins nicht festhalten.
     
     
    WUNIBALD MÜLLER: Alle Sinfonien in diesem Leben bleiben unvollendet, meint Karl Rahner. Unsere letztlich unerfüllte Sehnsucht nach dem Einssein bleibt unvollendet bis zum Schluss. Sehnsucht ist heilig, sagen D.H. Lawrence und die Romantiker. In der Sehnsucht schmecken wir das Heilige. In der Sehnsucht spüren wir unser Verlangen nach dem Einssein mit Gott. Sie ist der Grund für die Unruhe unseres Herzens, die sich nicht einstellt, bis wir - am Ende - Ruhe gefunden haben: in Gott.
    Je mehr wir Gott in uns hineinlassen, er Wohnung in uns nimmt, wir die Erfahrung machen dürfen, wenigstens immer wieder vorübergehend eins mit uns zu sein, desto mehr wird aber unsere Sehnsucht nach dem »Mehr« gestillt, und das auf angemessene Weise. Gott ist dabei kein Ersatz. Er ist genau das, wonach wir uns sehnen. Oft versuchen wir, diese Sehnsucht auf eine andere Weise zu stillen: durch mehr Anerkennung, mehr Abwechslung, mehr Sex, mehr... Doch so wichtig diese Dinge sind oder sein können - die tiefste und letzte Sehnsucht können sie nicht stillen.
     
     
    ANSELM GRÜN: Die geistliche Tradition zeigt mir Wege auf, die mich für das Einswerden bereiten und öffnen. Der
erste Weg besteht darin, mit mir selbst eins zu werden. Das ist nicht so einfach. Ein großer Teil der Askese, wie sie Evagrius Ponticus stellvertretend für das Mönchtum beschreibt, zielt darauf ab, die eigene Wirklichkeit anzuschauen: die Leidenschaften, die Gefährdungen, die Emotionen, die Gedanken und die inneren Lebensmuster. Nur wenn ich die eigene Wahrheit schonungslos anschaue und sie Gott hinhalte, kann ich - durch meine Leidenschaften und Emotionen hindurch - in den Grund meiner Seele gelangen. Dort wohnt Gott schon in mir. Und dann kann ich - wenn ich den Mut hatte, durch das Chaos der eigenen Leidenschaften hindurchzugehen - auf dem Grund meiner Seele die Erfahrung machen, eins zu sein mit mir selbst.
    Und in diesem Einssein mit mir - frei von aller Selbstverurteilung und Selbstbewertung - ahne ich, was es heißt, eins zu sein mit Gott, mit dem Grund allen Seins, mit der Quelle aller Liebe, mit dem Sein schlechthin. Dieses Einssein erlebe ich manchmal als Einssein ohne Gegenüber. Gott ist dann nicht der persönliche Gott, sondern der Abgrund, in den ich eintauche, wenn ich es wage, meine eigene Abgründigkeit zu durchschreiten. Aber auch in dieser Erfahrung erahne ich, dass dieser Abgrund Gottes Liebe ist und als Liebe nicht nur eine Energie ist, sondern personale Züge trägt. Denn auch wenn ich im Grund meiner Seele auf die Quelle der Liebe stoße, die mehr ist als Gefühl, vielmehr eine Qualität des Seins, so kann ich mir diese Liebe nicht anders vorstellen, als dass sie von einem Du kommt, von einem personalen Wesen, das Liebe ist.
    Manchmal erfahre ich das Einssein mehr als Einswerdung mit dem, der mich anschaut und den ich anschaue.
Dann ist es von vorneherein ein personales Einssein. Diese Erfahrung des Einsseins ist mit dem Einswerden mit einem Freund oder einer Freundin vergleichbar.Wir haben uns im Gespräch tief berührt. Wir sind uns nähergekommen. Jetzt schweigen wir miteinander und erfahren im Schweigen ein tieferes Einssein. Wir berühren uns auf dem Grund unseres Herzens. Wir verschmelzen nicht miteinander. Und doch gibt es Augenblicke, in denen ich mich ganz eins fühle mit der Gesprächspartnerin oder dem Gesprächspartner.
     
     
    WUNIBALD MÜLLER: Das sind

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