Wer Bist Du, Gott
unserem Herzen spüren. Die Sehnsucht ist die Spur, die Gott in unser Herz gegraben hat. Wir können sie immer spüren. In der Sehnsucht nach Gott ist schon Gott. So können wir zumindest die Spur Gottes in unserem Herzen erfahren.
WUNIBALD MÜLLER: Ich glaube, wenn Gott als eine Kraft erfahren wird, die konkret und direkt in unser Leben hineinwirkt, werden Menschen offen sein für Gott. Ich vernehme bei vielen Menschen eine große Sehnsucht nach etwas, das sie wirklich trägt und hält. Das gilt vor allem auch - aber nicht nur - in Zeiten ihres Lebens, in denen das, was sie bisher getragen hat, in die Brüche geht, sie mit ihrer eigenen Weisheit nicht mehr weiterkommen.
Ist es da nicht einzigartig und faszinierend, dass es inmitten all unserer Sorgen und Ängste, angesichts einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht, ein Angebot gibt von etwas Unzerstörbarem, das uns Halt gibt und Sinn vermittelt, etwas, in das wir uns verankern können. Für mich ist das Gott, das unbeschreibliche große Geheimnis. Es liegt an uns, ob wir dieses Angebot annehmen, uns die Zeit nehmen, in unsere Tiefe einzutauchen, um mit Gott und dem Göttlichen in und um uns in Berührung zu kommen.
ANSELM GRÜN: Viele klagen, dass sie Gott nicht erfahren können.Aber die eigene Brüchigkeit erleben sie als schmerzlich. Wenn ich nun meine Brüchigkeit annehme, dann spüre ich zugleich in mir eine tiefe Sehnsucht nach etwas, das mir festen Halt gibt, nach etwas Konsistentem. Pierre Teilhard de
Chardin hat ja schon als Kind nach dem Konsistenten gesucht. Er sammelte begeistert Eisen, das man nicht brechen konnte. Doch als es zu rosten anfing, sammelte er Kristalle. Er wollte etwas finden, das ihm festen Grund gibt.
Gott ist so ein fester Grund, der mich in meiner Brüchigkeit auffängt. Ich kann nach Gott Ausschau halten. Genauso kann ich aber auch mehr auf mich und meine Brüchigkeit schauen. Dann erkenne ich in mir und in meiner Gebrochenheit die Spur von etwas, das in sich fest und konsistent ist, das mir Halt und Sicherheit verleiht. Natürlich kann ich sagen, das würde ich mir nur einreden, damit ich meine Brüchigkeit aushalte.Wenn ich mir aber diese Möglichkeit eingestehe, so ist in mir doch das innere Wissen stärker: Ich traue dem Gott, der das Brüchige meines Lebens zusammenhält, der mir in meiner Gebrochenheit Halt verleiht. Ich vertraue auf Gott als dem Felsen, auf den ich mein Lebenshaus bauen kann.
WUNIBALD MÜLLER: Mir fällt hier der Vergleich mit der Ozonschicht ein, die uns umgibt und uns vor schädlicher Sonneneinstrahlung schützt. Im Unterschied zur wirklichen Ozonschicht ist diese Ozonschicht, die uns umgibt, wenn wir eingebettet sind in Gott und uns als Teil eines Größeren erfahren, unzerstörbar. Was auch immer in und um uns herum geschieht, was auch immer in und um uns herum zusammenbricht: Gott bleibt bestehen. Er bleibt um uns herum, bei uns und in uns. Auf immer und ewig.
Wie ein Stück Ewigkeit inmitten all des Trubels, so wirkt der Stephansdom in Wien mit seinem imposanten Turm, der in den Himmel ragt, umgeben von dem geschäftigen Treiben,
das typisch ist für den Kern einer Weltstadt, die von überallher Menschen anlockt. Doch die Baugerüste, die einen freien Blick auf den Turm verhindern, erinnern daran, dass selbst dieses Stück Ewigkeit der Vergänglichkeit unterliegt.
Allein Gott ist unvergänglich. Er allein hat Bestand. Sonst nichts. So wichtig und heilig es uns auch sein mag. Erst, wenn wir das in der Tiefe unseres Herzens erkannt haben, beginnen wir zu erahnen, was es heißt, wesentlich zu sein und wesentlich zu leben. Die kleinen und die großen Stars, die im großen Medienzirkus im Gewand des Künstlers, Politikers oder Gurus ihren Auftritt haben, schrumpfen dann auf ihre wahre Bedeutung zusammen. Alle unsere eigenen kleinen und großen Eitelkeiten lösen sich in Nichts auf. Und da ist dann entscheidend, was unser Grund ist. Sind es die kurzlebigen Eitelkeiten oder ist es Gott?
Es hängt von uns ab, welchen Weg wir einschlagen. Wir können den Weg der Aufblähung gehen, den Weg der Heißluft, die uns zwar für einen Moment nach oben trägt, aber schnell wieder aufgebraucht ist. Oder wir können den Weg beschreiten, der zu jener Erfahrung führt, jetzt schon an das Grenzenlose, an Gott angeschlossen zu sein, der unzerstörbar und ewig ist.
ANSELM GRÜN: Mich fasziniert das Bild, das Jesus für den Menschen gebraucht, der klug ist und aus dem Glauben lebt: Er
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