Wer Bist Du, Gott
spreche: »O Herr, ich bin nicht würdig, dass du eintrittst unter mein Dach«, kann das ein Augenblick sein, in dem ich mir der Anwesenheit Gottes bewusst werde und in besonderer Weise offen bin für den Kontakt mit ihm. Es kann zugleich der Moment sein, in dem die Schicht in mir, die sensibel ist für das Ewige, ja die Ewigkeit, die laut Kohelet Gott selbst in mich hineingelegt hat, sich angesprochen fühlt und in Bewegung gerät, sich stärker als sonst bemerkbar macht. Bis dahin, dass ich im bewussten Empfang der Kommunion das Wunder erfahren darf, das sich im Vollzug der Kommunion in der Eucharistiefeier immer wieder ereignet.
ANSELM GRÜN: Für mich sind der Augenblick des Empfangs der heiligen Kommunion und die anschließende Stille der Höhepunkt der Eucharistiefeier. Ich kann mich noch gut daran erinnern, mit welcher Andacht ich als Kind die Kommunion empfangen habe. Damals sind wir nach der Kommunion zurück in die Bank gegangen, haben uns niedergekniet und uns die Hände vor das Gesicht gehalten, um ganz bei uns und ganz bei Christus zu sein.
Mich hat berührt, als ich las, dass der Regisseur Christoph Schlingensief nach seiner Krebserkrankung gebetet hat und sich an diesen Augenblick der Kommunion erinnerte: »Gestern Abend habe ich noch gebetet. Das habe ich ewig nicht mehr gemacht.Wobei mir vor allem dieses leise Sprechen, das Flüstern mit den Händen vor dem Gesicht, gutgetan
hat, so wie nach dem Empfang der Hostie, wenn man bei sich ist und den eigenen Atem hört und spürt« (Schlingensief 2009, S. 18). Heute setze ich mich aufrecht in die Bank, schließe die Augen und stelle mir vor, wie die Liebe Jesu den ganzen Leib durchdringt und wie sie in meine Arbeit in der Verwaltung hineinfließen möchte.
TEIL VI
Tränen
Mein Herz weint,
weint Tränen,
der Trauer, Hilflosigkeit.
Unsäglich die Ohnmacht,
unerträglich das Leid.
Wie viel Leid, wozu?
Wie viel Elend, warum?
Wer kann es tragen.
Kann kaum erahnen,
die Bedürfnisse der anderen.
Kann nicht helfen.
Anbetung.
Das Elend nimmt seinen Lauf,
das Leid breitet sich aus.
Und ich bete.
Unnütz?
Mein Herz weint Tränen,
kannst du sie sehen?
Mein Herz weint,
und ich bin ohnmächtig.
Mein Sohn, entfremdet.
Mein Vater, voller Krankheit,
Freundinnen, daniedergestreckt.
Mein Herz weint Tränen,
für die Leidenden,
für die Kranken,
für die Trostlosen.
Jede Träne aus der Tiefe meines Herzens,
jede Träne ein Gebet,
jede Träne eine Fürbitte,
jede Träne ein Flehen.
Herr, hilf,
erbarme dich!
Sabine Wagner
GOTT UND DAS LEID - DER DUNKLE GOTT
Wie kann es einen Gott geben, wenn es doch so viel Leid auf der Welt gibt?
WUNIBALD MÜLLER: Vor einiger Zeit verbrachte ich einige Tage bei den Karmelitinnen, die neben der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers in Dachau ihr Kloster haben. An diesem Ort kommt mehr als an anderen Orten die Frage auf: Wo war hier Gott? Dein Mitbruder Pater Sales Hess verbrachte in diesem Lager einige Jahre und hat darüber ein Buch geschrieben mit dem Titel Dachau, eine Welt ohne Gott. Er berichtet darin auch von seinem Ringen, warum gerade er dort hinmusste. »Warum muss von allen Mitbrüdern gerade ich solch einen bitteren Kelch trinken? Worin habe ich gefehlt? Immer wieder durchforste ich mein Gewissen. Das Auge der göttlichen Gerechtigkeit mochte manches Anstößige finden. Aber weshalb eine so schwere Strafe? Sollte das wirklich der Wille Gottes sein?« (Hess 1995, S. 50f.). So fragte er sich, um dann selbst darauf
zu antworten: »Gott kann auch einen Unschuldigen leiden lassen. Er hat ja seinen eingeborenen, vielgeliebten Sohn nicht geschont... Ich sah es ein: Es war falsch, unbedingt eine schwere Schuld konstruieren zu wollen, um solch ein schweres Leid zu verstehen. Gott denkt anders als wir Menschen.«
ANSELM GRÜN: Sobald wir über Gott sprechen, hören wir den Vorwurf: Wie kann es einen Gott geben, wenn es doch so viel Leid auf der Welt gibt? Wie kann Gott das zulassen, dass unschuldige Menschen sterben? Warum greift Gott nicht ein, wenn ein Amokläufer unbeteiligte Menschen einfach wahllos niederstreckt? Was ist das für eine Schöpfung, in der immer wieder Naturkatastrophen viele Menschen töten? Warum lässt Gott das Leid zu?
Es sind zwei Fragen: die Frage nach der Existenz Gottes und die Frage nach dem Warum. Die Frage nach der Existenz Gottes ist für mich unabhängig von der Frage des Leids. Für manche ist das Leid der
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