Wer Bist Du, Gott
C.G. Jung hat sich in seinem Buch Antwort auf Hiob auch gegen die christliche Lehre vom Bösen als der privatio boni, dem »Mangel am Guten«, gewehrt. Er plädiert dafür, dass das Böse auch in Gott ist. Wenn ich die Darlegungen C.G. Jungs als Ausdruck persönlicher Erfahrungen gelten lasse, dann verstehe ich sie und finde darin wichtige Erkenntnisse. Aber Jung hat sich in diesem Buch über die Grenze des Psychologen gewagt und letztlich theologische Aussagen gemacht, die ich nicht immer akzeptieren kann. Trotzdem gibt er mir Anstöße, über Gott angemessen zu reden. Und da ist sicher das Bild des dunklen Gottes eine wichtige Herausforderung.
Der dunkle Gott - das heißt für mich nicht, dass in Gott
auch das Böse ist. Jung sagt zu Recht, dass Gott nicht in das Gute und Böse gespalten ist, sondern dass wir ihn als gegensätzlich erfahren, als Helfer und als Verfolger. Aber wir müssen unterscheiden zwischen der Erfahrung, die wir von Gott machen, und dem Wesen Gottes. Theologisch können wir nicht sagen: Gott ist auch das Böse. Denn das widerspricht allen biblischen Aussagen, dass Gott das Licht ist. Aber das Alte Testament zeigt uns durchaus auf, wie Gott sich als dunkler Gott uns zeigen kann.
Die berühmte Geschichte vom Jakobskampf verweist uns auf den dunklen Gott. Jakob kämpft hier mit einem dunklen Mann, der ihm ans Leben will. Aber gerade von diesem dunklen und unbegreiflichen Gegner will er sich segnen lassen. Und er erfährt in dieser Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten und dem Dunklen, das ihm von außen entgegentritt, dass Gott selbst ihn segnet. Gott kann uns gerade im Dunklen begegnen. Und Gott kann für uns dunkel bleiben, unbegreiflich, scheinbar das Gegenteil von Liebe und Güte.
WUNIBALD MÜLLER: Für mich als Therapeut heißt das, zu meinen wahren Gefühlen zu stehen, darunter auch zu den sogenannten negativen Gefühlen wie Neid, Ärger,Wut, ja selbst Hass. Nicht, dass ich diese immer ausagieren muss. Es geht darum, dazu zu stehen, nicht so zu tun, als wären sie nicht da. Sie sind da und sie bleiben da, werden aber mit einem spirituellen »Zuckerguss« kaschiert. Gott wird dann auf einen »Friede-Freude-Eierkuchen-Gott« reduziert. Die sogenannten negativen Gefühle finden dann, wie du es beschreibst, auf eine subtile Weise ihren Ausdruck, etwa in
herzlosem und intolerantem Verhalten gegenüber Andersdenkenden und Abweichlern.Vor diesem Hintergrund ist es auch gut nachvollziehbar, dass gerade in betont christlichen Gemeinschaften, aber auch in einem anderen kirchlichen, nicht selten auch offiziell kirchlichen Kontext, sozusagen »unter der Decke«, viel unangeschaute und daher unerlöste negative Energie vorhanden ist. Sie verschafft sich negativen Ausdruck in autoritärem Gehabe, Anspruchsdenken und Lieblosigkeit.
Die Schattenseite, die nicht wirklich angeschaut und angenommen worden ist, bleibt unbeleuchtet, fristet weiterhin ein Schattendasein.Würde man sich seinen wirklichen Gefühlen stellen und zugeben, dass es diese Seite in sich selbst auch gibt, würde einen das zunächst vielleicht entsetzen, zugleich aber auch demütiger machen.
Lasse ich mich auf einen solchen Prozess ein, bekommt auch Gott Konturen. Gott ist nicht länger nur ein Weichspüler. Gott wird zum Schwarzbrot, das man kräftig kauen muss. Gott erspart uns nicht die Konfrontation mit uns selbst, mit dem Mitbruder und der Mitschwester. Er fordert sie regelrecht heraus. Da wird Gott zu einem, der uns fordert, herausfordert, den Konflikt und den Streit nicht scheut.
ANSELM GRÜN: Dorothee Sölle meinte einmal etwas humorvoll, Theologen, die die dunkle Seite Gottes ausklammern, bleiben »theologische Playboys, die durch das, was sie für Glauben halten, daran gehindert werden, erwachsen zu werden« (Sölle 1981, S. 149).Wir sind als Christen sicher in Gefahr, dass wir uns nur den lieben Gott vorstellen, und zwar mit sehr harmlosen Bildern. Gott ist immer auch der
Unbegreifliche. Gerade im Leid und in der eigenen Schuld begegnen wir den dunklen Seiten Gottes. Und der dunkle Gott lädt uns ein, uns den eigenen Schattenseiten zu stellen. Theologisch ist es sicher sinnvoll, zwischen Gott und Gottesbild zu unterscheiden.
Es geht nicht darum, objektive Aussagen über Gott zu machen, dass in ihm das Böse sei.Vielmehr meint die Rede vom dunklen Gott, dass wir uns in der Begegnung mit Gott den unbegreiflichen und »dunklen«, den unverständlichen Seiten Gottes stellen und damit zugleich den dunklen
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