Wer bist du, schöne Juno
tiefen Stimme, einer Stimme, die Helen sich eingeredet hatte, nie mehr zu hören, erstarrte sie. Abrupt wich jedes Gefühl von ihr, alles Empfinden für Raum und Zeit. Der Atem stockte ihr. Ungläubig machte sie große Augen, ehe sie sich umdrehte und Martin nur ein Stückchen von sich entfernt sah. In seinen klaren, leuchtenden grauen Augen stand ein brennender Ausdruck der Entschlossenheit. Zu ihrem Erstaunen nahm er sie hart beim Arm.
„Ich muß mit dir reden!“
Er hätte sie am liebsten sofort aus der Kirche gezerrt, hätten der Vikar und der vermeintliche Bräutigam nicht gleichzeitig protestiert.
„Ich sage, Sir, daß Lady Walford eingewilligt hat, mich zu heiraten!“
„Was hat das zu bedeuten, Sir?“
Martin schaute den Vikar an und furchte finster die Stirn.
Doch der Vikar ließ sich in Anbetracht des Umstandes, daß er sich in der Sicherheit der Kirche befand und ohnehin das Betragen des Herrn auf höchste mißbilligte, nicht einschüchtern.
„Das ist eine Trauung! Wie können Sie es wagen, sie zu stören?“
Helen schaute dem Earl in das unerhört attraktive Gesicht und bemerkte den zynischen Glanz in den Augen. Ihr sank das Herz. Oh, Gott! Er gedachte, sich unmöglich zu benehmen.
„Aber Sie haben gefragt, ob jemand einen Einwand gegen diese Ehe habe“, antwortete er sachlich. „Ich bin lediglich der Aufforderung nachgekommen.“
Einen Moment lang hatte der Vikar einen leeren Blick. Dann dämmerte ihm die Erkenntnis, und er sah wie vom Donner gerührt aus.
„Sie erheben Einwände?“
Sein Blick schweifte über die teure Kleidung des Gentleman und seine befehlende Miene. Dann richtete er ihn auf Mr. Swayne.
„Ich wußte, ich hätte nie zu dieser überstürzten Sache meine Zustimmung geben dürfen“, sagte er und klappte mit einem Knall die Bibel zu.
„Nichts dergleichen!“ erwiderte Hedley hochroten Gesichtes und sehr aufgeregt. „Fragen Sie den Earl of Merton, welche Einwände er hat. Das Ganze ist nur ein übler Scherz, weil Seine Lordschaft genau weiß, daß Lady Walford eingewilligt hat, mich zu heiraten.“
Hedley starrte den Earl an.
Helen wünschte sich, im Erdboden zu versinken. Doch der Griff des Earl hätte das nicht zugelassen.
Unbehaglich blickte der Vikar zwischen Mr. Swayne und dem Earl hin und her und sagte: „Wenn Sie können, dann bringen Sie Ihren Einwand vor.“
Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete Martin: „Lady Walford hat eingewilligt, mich zu heiraten.“
Hedley schnappte nach Luft. Das war ganz eindeutig eine dreiste Lüge.
Helen fand, daß es an der Zeit sei, die Sache in die Hände zu nehmen. Trotz allem durfte Martin nicht die Möglichkeit gegeben werden, seine Träume aufzugeben, nicht nach den Seelenqualen, die Helen durchgemacht hatte, um ihm die Träume zu bewahren.
„Ich habe nie zugestimmt, Sie zu heiraten, Sir.“
Er schaute sie an.
Sein Ausdruck warmer Wertschätzung brachte die Kontrolle, die sie auf ihre Sinne ausübte, ins Wanken. Sie machte große Augen, als dieser Ausdruck durch einen anderen ersetzt werde, den sie nur ruchlos nennen konnte.
„Du hast eingewilligt“, sagte Martin lächelnd. „Das weißt du ganz genau. Und zwar an dem Nachmittag, als du mit mir geschlafen hast.“
Helen blieb der Mund offen stehen. Ihr brannten die Wangen. Wie konnte Martin es wagen, so etwas zu sagen? Noch dazu in einer Kirche und vor Zeugen?
Entsetzt warf der Vikar die Hände hoch und sagte: „Ich hätte wissen müssen, daß es besser gewesen wäre, nichts mit vornehmen Leuten zu tun zu haben. Mit vornehmen Leuten aus London“, fügte er hinzu und starrte finster Mr. Swayne an. Unter solchen Umständen muß ich Sie bitten, Sie alle drei, die Kirche unverzüglich zu verlassen! Und ich rate Ihnen dringlichst, für Ihr Seelenheil zu beten.“
Nach dieser letzten Bemerkung drehte der Vikar sich um und marschierte in die Sakristei.
Die Gemeinde brach in Lärm aus. Im Schutz des entstandenen Durcheinanders zerrte Martin Lady Walford durch eine Seitentür auf den Friedhof.
Er war schon halb über den weiten Rasen, aus dem verwitterte Grabsteine ragten, ehe Helen die Kraft fand, sich zu sträuben, und ihn zum Stehen brachte.
„Sir, das ist lächer..."
Der Rest des Wortes ging in dem wilden Kuß unter, den Martin ihr gab.
Sie wehrte sich gegen ihre Gefühle, gab jedoch bald den Widerstand auf.
Erst in dem Moment, da Martin merkte, daß sie seine Zärtlichkeiten willig erwiderte, wagte er es, den Kopf zu heben. Sie war eine sture
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