Wer Blut vergießt
Melody.
Gemma nickte, während sie nach einem Parkplatz Ausschau hielt. »Verdammt viel los hier.«
»Wie wär’s, wenn ich reingehe, dann kannst du so lange im Kreis fahren?«, schlug Melody vor.
»Okay. Da ist eine Stelle, wo ich im Parkverbot warten kann, wenn ich im Auto bleibe.«
Nachdem Gemma den Escort in die etwas zu kleine Lücke gezirkelt hatte, sprang Melody hinaus und ging mit schnellen Schritten auf das Gebäude zu.
Gemma ließ den Motor laufen und rieb sich die kalten Hände, während sie zusah, wie die Besucher des Zentrums kamen und gingen, zumeist Frauen, die Trainingsklamotten unter ihren Jacken trugen. Mussten die denn alle nicht arbeiten?, fragte sie sich und versuchte sich einen Lebensstil vorzustellen, bei dem man vormittags in den Pilates-Kurs gehen konnte. Ein paar ältere Frauen trafen zusammen ein, vielleicht zum Bridge oder zum Bingo – oder zum Power-Aerobic, dachte Gemma amüsiert.
Sie sah auf die Uhr und machte sich schon Sorgen, ob sie ihren Termin in der Schule einhalten könnten, als Melody wieder herauskam.
»Da ist wirklich was los«, sagte Melody, als sie zu Gemma ins Auto stieg und einen Schwall eisige Luft mitbrachte. »Pilates, Yoga, Meditation. Ach ja, und ein Glasmalerei-Kurs. Und das alles noch vor den Nachmittagsaktivitäten für die älteren Kinder.«
»Und?« Gemma konzentrierte sich darauf, sich in den fließenden Verkehr einzufädeln, doch zuvor hatte sie noch Melodys triumphierendes Grinsen gesehen.
» AA -Meetings, mehrmals die Woche, unter anderem auch freitagabends um zehn.«
»Verdammt«, murmelte Gemma. »Das bestätigt also Harts Aussage.«
»Nicht unbedingt. Die sehr hilfsbereite Leiterin des Beschäftigungsprogramms ist rein zufällig auch in der Gruppe. Als ich ihr erklärte, dass wir Mr Harts Aussage im Zuge einer Ermittlung überprüfen müssten, sagte sie, er sei tatsächlich am Freitagabend um zehn gekommen. Er habe aber, was für ihn ganz ungewöhnlich sei, sein Handy auszuschalten vergessen. Kurz nach Beginn des Meetings bekam er einen Anruf und brach überstürzt auf.«
»Und er hat nicht gesagt, warum?«
»Nein. Er hat sich nur entschuldigt und ist gegangen. Sie sagt, es war noch vor halb elf.«
»Aha. Und da wir wissen, dass Arnott um elf noch am Leben war, weil er da gerade im Belvedere eingecheckt hat, bedeutet das, dass Hart für die Zeit von Arnotts Tod kein Alibi hat.«
Hatte Andy Monahan gewusst, dass Hart für Freitagabend kein Alibi hatte? Aber soweit sie wussten, war Andy Hart erst am Samstag zum ersten Mal begegnet. Gemma hatte den Eindruck, dass die Sache mit jedem Detail, das sie erfuhren, nur noch verwickelter wurde.
Sie fuhren jetzt zurück nach West Dulwich und dann die baumbestandene Straße zwischen dem Friedhof West Norwood und Norwood Park hinauf. Die Schule selbst grenzte an den Park und stand, wie Gemma jetzt bewusst wurde, fast schon auf dem Gebiet von Crystal Palace.
Diesmal war es kein Problem, einen Parkplatz zu finden – die Stellplätze für Besucher waren deutlich gekennzeichnet. Gemma blickte zu dem Komplex aus rotbraunem Backstein auf, an den sich sehr gepflegte Sportanlagen anschlossen – nicht zu vergleichen mit den Schulen, die sie in Leyton besucht hatte.
Ein paar Jungen in Schulblazern mit Ranzen auf dem Rücken liefen zwischen den Gebäuden hin und her. Sie konnte sich Kit mit seiner coolen, selbstsicheren Art und seiner eleganten Erscheinung gut an einer solchen Schule vorstellen. Er hatte den größten Teil seiner Kindheit als Sohn eines Cambridger Dozentenpaars verbracht, in einer Umgebung, in der Gelehrsamkeit und privilegierter Status Hand in Hand gingen.
Aber Toby? Der Gedanke entlockte ihr einen Seufzer. Ihr Sohn würde toben und herumflitzen wie die Kugel in einem Flipperautomaten. Und Charlotte? Wo würde Charlotte ihren Platz finden?
»Chefin?«, sagte Melody. Sie hatten den Eingang des Verwaltungsgebäudes erreicht.
»Entschuldige – war gerade mit den Gedanken woanders. Bist du auch auf eine Schule wie diese gegangen, Melody?«
»Noch viel elitärer, fürchte ich. Für die Schüler hieß das allerdings Schlafsäle aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende mit verschimmelten Gemeinschaftswaschräumen, dafür aber ohne Zentralheizung. Man bezahlt für den Status, nicht für die luxuriöse Unterbringung. Ich würde mich jederzeit für diese Schule hier entscheiden.«
»Würdest du denn deine eigenen Kinder auf ein Internat schicken?«
»Das ist im Moment eine ziemlich
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