Wer Blut vergießt
Barkeepers das Aufnahmestudio finden würden, verlief rechts von ihnen. Zur Belvedere Road, wo sie den Wagen geparkt hatten, ging es nach links, und geradeaus war die Church Road mit dem Belvedere Hotel. »Wie wär’s, wenn du das Studio übernimmst?«, fuhr Gemma fort. »Ich gehe in der Zwischenzeit zum Hotel und schaue nach, ob Shara oder die Techniker irgendwelche Fortschritte gemacht haben. Danach können wir uns wieder im Haus der Arnotts treffen. Vielleicht hat Marie ja bis dahin Mrs Arnott ein bisschen beruhigt, dann können wir uns Arnotts Sachen vornehmen.«
»In Ordnung, Chefin.« Melody schien über die Aufgabenverteilung nicht sehr begeistert zu sein.
»Vielleicht kannst du ja ein Autogramm ergattern«, neckte Gemma sie. »Ich hab immer schon gewusst, dass in dir ein heimliches Groupie steckt.«
Als Gemma wieder am Belvedere Hotel ankam, war der Leichenwagen verschwunden. Der Transporter der Spurensicherung parkte jedoch noch am Straßenrand, und so beschloss sie, zunächst mit den Kriminaltechnikern zu sprechen, ehe sie sich mit Shara MacNicols austauschte und die Hotelangestellten vernahm.
Der jüngere Constable, Gleason, hielt an der angelehnten Hintertür Wache. Als sie ins Zimmer trat, stellte sie fest, dass der Gestank durch das Lüften und den Abtransport der Leiche längst nicht mehr so schlimm war, wenngleich es immer noch ein wenig unangenehm roch.
Mike und Sharon von der Spurensicherung hatten die Kleidung des Opfers und die Bettwäsche eingetütet und waren gerade dabei, Fingerabdrücke von sämtlichen Flächen im Raum abzunehmen.
»Ein Alptraum, echt«, schimpfte Mike, während er einen Streifen Tesafilm auf eine Karte klebte. »Alles voller Fingerabdrücke. Und Fasern. Das Reinigungspersonal in diesem Haus nimmt es offenbar nicht sehr genau.«
»Hätte ich jetzt nicht gedacht.« Gemma warf einen Blick in das winzige Kämmerchen, das, wie sie vermutete, als »eigenes Bad« firmierte. Während das Waschbecken und die Toilette einen einigermaßen sauberen Eindruck machten, sah sie an den Fußleisten Haare in unterschiedlichen Längen und Farben kleben. »Igitt.« Sie fand es interessant, dass ein Mann, der in seinem Haus und bei seinen Kleidern so penibel war, Stammgast in einer solchen Absteige gewesen war.
»Wir haben tatsächlich etwas gefunden«, sagte Sharon. »Einen Tropfen auf dem Bettlaken – sieht nach frischem Blut aus.«
»Hat das Opfer eine entsprechende Verletzung?«, fragte Gemma.
»Keine, die auf den ersten Blick zu erkennen wäre. Rashid wird Ihnen natürlich Genaueres sagen können.«
Das war immerhin etwas, dachte Gemma. Vorausgesetzt, sie konnten DNS bekommen, oder wenigstens eine Blutgruppe. Wenn es nicht Arnotts Blut war und die Reinigungskraft des Hotels bezeugte, dass sie die Bettwäsche nach dem letzten Gast gewechselt hatte, dann könnten sie einem eventuellen Verdächtigen nachweisen, dass er zum Tatzeitpunkt am Tatort gewesen war. Immer angenommen, dass sie einen Verdächtigen auftreiben konnten.
Es wurde Zeit, dass sie sich noch einmal mit dem Personal unterhielt.
»Krebs?«, fragte Kincaid, dem der Schreck in die Glieder gefahren war.
Aber Louise schüttelte den Kopf. »Es ist Tbc. Anscheinend ist die Krankheit in London auf dem Vormarsch, besonders unter karibischen und asiatischen Einwanderern. Mit anderen Worten, bei meiner Klientel.«
»Aber Tuberkulose ist doch behandelbar.« Seine Erleichterung spiegelte sich nicht in Louises Miene.
»Ja, aber …« Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln. »Es gibt immer ein ›Ja, aber‹. Offenbar sind immer mehr Bakterienstämme resistent gegen Antibiotika. Die Ärzte haben mir das Medikament mit der zuverlässigsten Wirksamkeit verschrieben, aber sie werden erst in ein paar Monaten wissen, ob es anschlägt.«
»Monate?«, wiederholte Kincaid bestürzt.
»Bei der Standardtherapie dieser Multiresistenzen wird mindestens ein Jahr lang mit Antibiotika behandelt. Und auch das setzt voraus, dass das Medikament von Anfang an wirkt. Und dann Ruhe. Ganz viel Ruhe. Absolut nicht mein Ding.«
»Wirst du weiter arbeiten können?«
»Ich werde vorläufig so viel wie möglich von zu Hause erledigen. Ich habe eine Assistentin eingestellt, und ich werde ein paar Stunden in der Woche ins Büro gehen. Aber da ist noch das Problem der Ansteckungsgefahr.«
Sie musste seinen erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn sie schüttelte sogleich den Kopf. »Ich huste nicht, und ich achte sehr streng auf Hygiene«,
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