Wer Blut vergießt
fügte sie hinzu, indem sie auf seinen Kaffee deutete. »Von dem ständigen Waschen fallen mir irgendwann noch die Hände ab. Solange wir keinen ›intimen‹ Kontakt haben« – sie lächelte schief –, »besteht angeblich keine Gefahr. Aber ich dachte, es ist besser, wenn ich Charlotte nicht in die Wohnung lasse.«
»Und Michael und Tam?«
»Da ist die Gefahr von ›intimen Kontakten‹ relativ gering.« Louise lachte heiser. »Ich habe ihnen jedenfalls gesagt, sie sollen mich einfach nur in Ruhe lassen, die alten Glucken, aber davon wollen sie nichts wissen. Sie müssen sich sowieso alle paar Monate untersuchen lassen, für alle Fälle.«
»Wenn es irgendetwas gibt, was wir tun können …«, setzte er an, doch sie tat sein Hilfsangebot mit einer Handbewegung ab.
»Kümmert ihr euch jetzt erst mal um Charlotte.«
Als er nach nebenan ging, stellte er fest, dass Michael und Charlotte schon von ihrem Spaziergang zurück waren. Sooft er schon bei Louise gewesen war, hatte er doch noch nie einen Fuß in Michaels und Tams Wohnung gesetzt. Die Zimmer waren spiegelbildlich zu denen von Louise, aber sehr viel ordentlicher und aufgeräumter. Topfpflanzen von der Größe kleiner Bäume füllten die vorderen Fenster aus, und an einer langen Wand standen Bücher und CD s in Reih und Glied. In einer Ecke erblickte er mehrere Gitarren auf Ständern und gegenüber der Sitzecke zwei große, rechteckige Hundebetten.
Charlotte saß in der Mitte eines der Hundebetten und war damit beschäftigt, auf dem anderen Hundespielzeug ordentlich nebeneinander zu arrangieren. Jagger und Ginger lagen daneben auf dem blank polierten Holzboden und sahen ihr mit großen Augen zu.
»Die sind aber sehr geduldig«, sagte Kincaid, als Michael ihn ins Zimmer führte.
»Sie lieben Kinder«, antwortete Micheal. »Ist doch interessant, was sie für ein feines Gespür haben, nicht wahr? Sie haben auch das mit Louise gemerkt«, fügte er mit leiserer Stimme hinzu. »Deswegen haben wir darauf bestanden, dass sie zum Arzt geht. Ein Glück, wirklich.«
»Wie haben sie euch denn mitgeteilt, dass etwas nicht stimmt?«, fragte Kincaid neugierig.
»Nun ja, im Allgemeinen ist Louises Verhältnis zu ihnen von einer Art freundlicher Toleranz geprägt, was auf Gegenseitigkeit beruht. Aber ungefähr seit einem Monat kleben sie regelrecht an ihr, sie stupsen sie an und winseln, und dann kommen sie zu uns, als ob sie erwarten, dass wir schon wüssten, was zu tun ist. Irgendwann ist es sogar uns aufgefallen, wie schlecht sie aussah. Und dann haben wir sie gedrängt, sich untersuchen zu lassen.«
»Wie schlimm ist es wirklich?«, murmelte Kincaid, während er mit einem Auge Charlotte beobachtete, die immer noch in ihr Spiel vertieft war.
Michael zuckte mit den Achseln. »Schwer zu sagen. Ich habe gelesen, wenn es ein resistenter Stamm ist, kann es schon sehr ernst sein, selbst bei Leuten, die vor ihrer Erkrankung in guter Verfassung waren.«
Kincaid wusste, was Michael nicht aussprach: Louise war eine starke Raucherin gewesen, die keinen Sport trieb, zu viel arbeitete und nur dann halbwegs vernünftig aß, wenn Michael und Tam sie bekochten.
»Kann ich dir einen Kaffee anbieten?«, fragte Michael. »Ich weiß, dass Louise welchen gekocht hat, aber ich weiß auch, dass sie ein echter Koffeinjunkie ist.«
»Kräftig war er schon«, bestätigte Kincaid grinsend. »Ich glaube, damit habe ich mein Limit für die kommende Woche ausgeschöpft, aber danke trotzdem. Vielleicht ein andermal. Und ich glaube, ich habe einer gewissen jungen Dame einen Cupcake versprochen.«
»Mir! Mir!« Charlotte sprang auf und bewies damit, dass sie die ganze Zeit zugehört hatte.
Während Kincaid Charlotte wieder in ihr Jäckchen packte, warf er Michael einen Blick zu. »Ich weiß, dass Louise uns nicht anrufen wird, aber ihr meldet euch doch, wenn irgendetwas sein sollte …«
»Natürlich. Tam wird ganz traurig sein, dass er euch verpasst hat.«
»Die Gitarren – gehören die Tam?«, fragte Kincaid, als ihm die Instrumente wieder ins Auge fielen. »Ich wusste gar nicht, dass er spielt.«
»Überbleibsel einer vergeudeten Jugend. Er spielt immer noch gelegentlich, und er ist ziemlich gut. Aber ich glaube, er hat sich in dem Moment entschieden, Manager zu werden, als ihm klar wurde, dass er nie zu den ganz Großen gehören würde. Und jetzt ist er immer noch auf der Suche nach seiner ganz großen Entdeckung.«
Der Wegbeschreibung des Barkeepers folgend gelangte Melody zu einer
Weitere Kostenlose Bücher