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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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war größer als der ursprüngliche Crystal Palace, der im Hyde Park stand.«
    »Du hast ja richtig gepaukt«, sagte sie. »Er wurde für die Große Weltausstellung gebaut, nicht wahr? Die erste überhaupt. Im Jahr …«
    »1851. Aber als sie ihn wieder aufbauten, wurde doppelt so viel Glas verbaut wie beim ersten Mal. Und die Bauzeit betrug dreiundzwanzig Monate«, fügte er hinzu und versuchte an ihrem Gesicht abzulesen, ob sie sich langweilte. »Er war 490 Meter lang, 96 Meter breit und 33 Meter hoch.«
    Eine kleine Falte erschien zwischen Nadines Brauen, als sie die Stirn runzelte. Ihr Nasenrücken war leicht gerötet und mit Sommersprossen gesprenkelt. Sogar Andy, der ein hellhäutiger Typ war, hatte in den letzten Wochen richtig Farbe bekommen.
    »Ich dachte, sie hätten ihn einfach nur abgerissen und wieder aufgebaut«, sagte sie. »Wie eines von diesen Gewächshäusern, die viele Leute im Garten haben, nur größer.« Sie zog ihn ein bisschen auf, das konnte er an ihrer Stimme hören, aber es gefiel ihm. »Hast du das alles in der Schule gelernt?«, fragte sie.
    »Nein.« Während sie darauf wartete, dass er fortfuhr, griff er einen G-Dur-Akkord und strich mit dem Daumen ganz leicht über die Saiten. »In der Bücherei«, gab er ein wenig widerstrebend zu. Und nachdem es einmal draußen war, gestand er noch Schlimmeres ein. »Ich bin gerne dort.«
    »Hmm. Ich mag Büchereien auch.« Sie lächelte, und er konnte an ihrer Stimme hören, dass sie es ernst meinte. »Da ist es still«, fügte sie hinzu. »Und niemand stört einen.«
    Er entspannte sich ein wenig. Sie verstand ihn, das glaubte er zu spüren; dennoch konnte er sich nicht dazu überwinden, ihr zu gestehen, dass es der einzige Ort war, wo er sich frei von der Sorge um seine Mutter fühlte. Sie sprachen nie über persönliche Dinge – er wusste nicht einmal, wo Nadine arbeitete –, und er spürte irgendwie, dass es Grenzen gab, die er nicht überschreiten durfte.
    Nadine wandte sich dem zweiten Foto zu, das das Innere des Palasts zeigte, mit der gewaltigen Kuppel, die sich über Brunnen und Wasserbecken, über Statuen und sogar Bäume wölbte. Sie fuhr mit dem Finger die Konturen des Beckens auf dem Foto nach, und dann sagte sie leise:
    »›In Xanadu schuf Kubla Khan
    Ein Lustschloss, hochgewölbt, voll Pracht,
    Wo Alph, der heil’ge Fluss, sich wand
    Durch unermesslich’ Höhlenland,
    Hinab in Meeresnacht.‹«
    Eine Wolke zog vor die Sonne, und Andy spürte, wie ein kühlender Lufthauch die feuchten Haare auf seiner Stirn aufwehte. »Was ist das? Haben Sie sich das ausgedacht?«
    »Nein, das ist Coleridge. Das habt ihr in der Schule wohl noch nicht gehabt, oder?«, sagte Nadine und schüttelte den Kopf. »Das kommt erst in der Oberstufe dran. Aber daran hat er mich erinnert, dieser große Glaspalast – an Coleridges Gedicht. Als ob sie versucht hätten, das Paradies einzufangen, wie Kubla Khan.« Sie gab ihm die Blätter zurück. »Ich wünschte, ich hätte ihn sehen können, den Crystal Palace. Was ist daraus geworden?«
    »Er ist abgebrannt. 1936.« Obwohl es für ihn nichts Neues war, löste es ein merkwürdiges Gefühl in ihm aus, es laut auszusprechen. Ein Gefühl der Leere. Einen Moment lang wagte er nicht weiterzusprechen, aus Angst, seine Stimme könnte zittern. Dann packte er die Höfner ein wenig fester und fügte hinzu: »Man konnte das Feuer von acht Grafschaften aus sehen. Und als am nächsten Morgen die Sonne aufging, war der Palast verschwunden. Es war nur noch ein Haufen Schutt und Asche übrig.«
    Nach ihrem Gespräch mit den Kriminaltechnikern verließ Gemma das Untergeschoss und traf in der Rezeption auf eine gereizte und frustrierte Shara MacNicols.
    War das Hotel am Morgen schon kein besonders einladender Ort gewesen, so hatte sich dieser Eindruck jetzt noch verstärkt. Auf den billigen Tischen standen Teller mit vertrockneten Sandwichresten, Gläser und halb ausgetrunkene Tassen mit abgestandenem Tee. Die Angestellten drängten sich nicht mehr zusammen, sondern hatten sich in verschiedene Ecken des Raums zurückgezogen, als ob sie Angst vor Ansteckung hätten.
    Shara MacNicols stand an der Rezeption und studierte ein zerfleddertes Gästebuch. Sie blickte überrascht auf, als Gemma durch eine Innentür eintrat. »Chefin – wo kommen Sie denn her?«
    »Von unten. Ich bin durch den Notausgang reingekommen. Mike und Sharon sind so gut wie fertig mit der Spurensicherung. Gibt’s hier irgendetwas Neues?«
    »Wir haben die

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