Wer Blut vergießt
ausgesucht hatte, mit Folie abgedeckt. Jetzt breitete er in der Mitte des Zimmers eine Segeltuchplane aus und stellte seine Trittleiter darauf. Er hebelte den Deckel von dem Eimer mit cremeweißer Farbe ab, rührte um und stellte den Eimer dann auf die oberste Leiterstufe. Mit dem Pinsel in der Hand stieg er hinauf und verfluchte dabei die Viktorianer für ihre drei Meter hohen Decken. Es schien ihm am sinnvollsten, mit der Stuckrosette um den Kronleuchter herum anzufangen und von dort nach außen zu arbeiten, aber jetzt stellte er fest, dass er die Leiter nicht ganz richtig positioniert hatte. Egal, wenn er sich ein bisschen streckte, kam er noch an die Rosette heran.
Doug tauchte seinen Pinsel ein, wischte die überschüssige Farbe am Rand des Eimers ab und legte los. Das war gar nicht so übel, sagte er sich; er kam gut voran, und bald war die Rosette zur Hälfte fertig. Vielleicht war das ja genau das, was er brauchte als Ausgleich für den Frust in der Arbeit – hier sah man doch gleich den Erfolg. Er beugte sich noch etwas weiter vor – sicher könnte er auch noch die andere Seite der Stuckrosette erreichen, ohne die Leiter zu versetzen.
Und dann geriet die Leiter ins Taumeln. Er streckte den Arm aus, um das Gleichgewicht zu halten, und der Farbeimer flog durch die Luft. Er schien in Zeitlupe zu kippen, und die Farbe schwappte in einem perfekten Fächer heraus. Doug sah einen Moment lang wie gebannt zu, dann setzte die Zeit mit einem Ruck wieder ein, und er merkte, dass er selbst keinen Boden mehr unter den Füßen hatte.
Als Melody und Gemma zum Haus der Arnotts zurückkehrten, parkte hinter Melodys Clio eine Toyota-Limousine, die Gemma als den Wagen der Opferschutzbeamtin Marie Daeley erkannte.
»Wir haben Verstärkung bekommen – gut«, sagte Gemma, und Melody wusste, dass ihr bei dem Gedanken, allein mit Mrs Arnott fertigwerden zu müssen, nicht sehr wohl gewesen war.
Als sie klingelten, war es Marie, die ihnen öffnete. Detective Constable Daeley war in den Vierzigern, mit gepflegten, leicht angegrauten Haaren, zweckmäßiger Kleidung und einer forschen, zupackenden Art, die für Trauernde in der Regel hilf-
reicher war als offen geäußertes Mitgefühl. Sie war aber auch eine scharfsinnige Polizeibeamtin, die zuverlässig alles, was ihr an relevanten Informationen zur Kenntnis gelangte, an das Mordermittlungsteam weiterleitete.
Im Haus duftete es nach Kaffee, und es wirkte auf undefinierbare Weise einladender als noch an diesem Morgen.
»Sie ist nebenan«, sagte Daeley, als sie in die Diele traten. »Bei der Nachbarin. Gott sei Dank eine sehr vernünftige Frau.« Marie Daeley hatte, wie es schien, in Mrs Bates eine Seelenverwandte gefunden. »Wir haben die Schwester in Florida angerufen, Sara Bishop. Sie versucht für morgen einen Flug zu bekommen, aber selbst wenn sie es schafft, wird sie nicht vor Montag hier sein.«
»Wie hält sich Mrs Arnott so?«, fragte Gemma, als sie Daeley in die Küche folgten.
Daeley schenkte ihnen Kaffee ein, und Melody war froh, sich die Hände an der Tasse wärmen zu können.
»Sie ist sehr verwirrt, und es ist eindeutig mehr als nur der Schock«, antwortete Daeley, während sie sich an die Arbeitsplatte lehnte und an ihrem Kaffee nippte. »Ich weiß nicht, wie der Ehemann so lange allein zurechtgekommen ist.« Sie machte eine Handbewegung, die die Küche und die umliegenden Räume einschloss. »Überall sind kleine Listen und Zettel für sie. Er war Anwalt, sagt Mrs Bates?«
»Offenbar. Wir werden so bald wie möglich mit seiner Kanzlei Kontakt aufnehmen.«
»Es war sicher nicht einfach für ihn, wenn er im Gericht war«, mutmaßte Daeley. »Er hatte ihren Alltag von vorne bis hinten für sie organisiert, und er hat sie jeden Tag zu festen Zeiten angerufen. Laut Mrs Bates war er sehr geduldig mit ihr, aber er muss gewusst haben, dass es so nicht sehr viel länger weitergehen konnte.«
»Warum war er so fest entschlossen, sie zu Hause zu behalten?«, fragte Melody. Sie hatte Mühe, den aufopferungsvollen Gatten mit dem Mann in Einklang zu bringen, der regelmäßig Frauen abgeschleppt hatte – und der aus nichtigem Grund im Pub einen Gitarristen angeschnauzt hatte. »War es aus Sorge um sie, oder schämte er sich für die Krankheit seiner Frau? Es würde mich interessieren, wie viel seine Kollegen wussten.«
»Er könnte auch finanzielle Motive gehabt haben«, mutmaßte Gemma. »Ich nehme an, dass ein gutes Pflegeheim ihn recht teuer zu stehen gekommen
Weitere Kostenlose Bücher