Wer Blut vergießt
gibt.«
»Puh.« Kincaid verzog das Gesicht. »Jetzt komm ich mir ja vor wie der letzte Schnorrer, weil ich nämlich heute Morgen extra hergekommen bin, um dich um einen Gefallen zu bitten. Und ich bezweifle, dass ich dir irgendetwas als Gegenleistung anbieten kann.«
»Dann ist es ja gut, dass ich nicht so bin wie die, oder?«, meinte MacKenzie und wurde sogleich ganz ernst. »Was ist es? Soll ich auf Charlotte aufpassen?«
»Es ist ein bisschen komplizierter.« Er zögerte jetzt, seine Bitte vorzubringen, die ihm so einfach erschienen war, als ihm nach seinem Besuch bei Louise zum ersten Mal die Idee kam. »Es geht um Olivers Schule.«
Kincaid hatte erfahren, dass die Eltern ihre Kinder schon auf die Wartelisten der exklusiven Schulen in Notting Hill setzten, wenn der Nachwuchs noch im Mutterleib war – wenn nicht noch früher. Und bis zu seinem Gespräch mit Louise am Samstag war er auch überzeugt gewesen, dass sie sich die Schulgebühren niemals leisten könnten. »Du weißt ja, dass es an Charlottes jetziger Schule nicht so gut gelaufen ist«, fuhr er fort, »und wir waren ein bisschen … Es war alles nicht so einfach.«
Er hatte MacKenzie nicht in allen Einzelheiten von Charlottes Vorgeschichte erzählt. »Die Schulleitung hat deutlich gemacht, dass man nicht bereit sei, mit einem Kind zu arbeiten, das, wie sie sich ausdrückten, ›besondere Förderung‹ braucht.«
MacKenzie sah Charlotte verblüfft an. Dann wandte sie sich wieder zu Kincaid um und senkte die Stimme, obwohl die Kinder inzwischen ganz in eine Diskussion über die richtige Farbe für Hühner vertieft waren. »Das ist absurd.«
»Nicht gerade sehr flexibel von denen, das sehe ich auch so.« Er versuchte, nicht zu wütend zu klingen. »Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht eine Chance gäbe, sie in Olivers Klasse unterzubringen. Ich glaube, allein der Umstand, dass sie dort schon einen Freund hätte, wäre eine enorme Hilfe.«
MacKenzie kaute auf ihrer Lippe. »Aber …«
»Wenn es um die Gebühren geht«, warf er rasch ein, »da hat sich inzwischen etwas ergeben. Es kann sein, dass wir Mittel aus dem Nachlass von Charlottes Eltern bekommen.« Ihm wurde von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher zumute. »Hör zu, MacKenzie, es tut mir leid, dich damit belästigen zu müssen. Ich wollte unsere Freundschaft nicht ausnutzen oder dich in eine unangenehme Lage bringen. Und mir ist bewusst, dass ich in den entsprechenden Kreisen absolut null Einfluss habe.«
Sie lächelte plötzlich. »Oh, aber ich schon. Und ich helfe dir gerne, einen Fuß in die Tür zu bekommen, wenn ich kann. Aber« – sie wackelte mit dem Zeigefinger, ehe er etwas entgegnen konnte – »ich erwarte eine Gegenleistung. Und damit meine ich nicht, dass du mir eine Anzeige wegen Falschparkens ersparen sollst.«
»Okay«, sagte er gedehnt und hoffte nur, dass es etwas wäre, was ihn nicht überforderte. »Wenn ich kann …«
»Ich gebe demnächst eine Dinnerparty. Ich will, dass du kommst und auch Gemma mitbringst. Ich finde, es wird höchste Zeit, dass ich deine mysteriöse Gattin endlich kennenlerne.«
Die Atmosphäre in der Einsatzzentrale des Reviers South London war an diesem Montagmorgen alles andere als entspannt.
Gemma war aufgebrochen, als Duncan gerade die Kinder für die Schule geweckt hatte, weil sie hoffte, ein ungestörtes Stündchen mit der Fallakte und einem Whiteboard könnte ihr die dringend benötigte Inspiration liefern oder dass sie plötzlich etwas erkennen würde, was ihnen allen bisher unerklärlicherweise entgangen war.
Nicht lange nach Gemmas Eintreffen kam Shara gähnend zur Tür herein.
»Sie sind ja früh dran«, sagte Gemma und musste selbst ein Gähnen unterdrücken.
»Die Kleine wollte nicht schlafen. Ich war nur froh, die Kinder in der Kita abliefern zu können. Schon die Zeitungen gesehen, Chefin?«
»Gott, ja«, antwortete Gemma stöhnend. Sie deutete auf den Stapel Zeitungen auf dem Konferenztisch. Nicht nur die Spätnachrichten des Fernsehens hatten die Story gebracht, auch alle Morgenausgaben berichteten darüber – einschließlich der reißerischen Details, die ein »anonymer« Zeuge beigesteuert hatte. Gemma hatte den starken Verdacht, dass es sich dabei um Raymond, den pickligen Hotelportier, handelte.
Die übelste Schlagzeile prangte auf der Titelseite des Blatts von Melodys Vater: Perverser Anwalt stirbt bei Techtelmechtel in Hotel. Wenigstens bezichtigte die Chronicle im Gegensatz zu manch anderem Boulevardblatt die
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