Wer Böses Tut
nicht. »Ruhig, eher eine Einzelgängerin. Dieser ganze Teeniekram mit Jungen und Make-up und Partys … Na ja, das war überhaupt nicht ihr Ding. Ein alter Kopf auf jungen Schultern, wenn Sie verstehen, was ich meine. Rachel zog es vor, ihre Nase in Bücher zu stecken, statt über Popmusik und solche Sachen zu reden.«
»Aber das hat Sie nicht abgeschreckt?«
»Wir haben beide mehr oder weniger gleichzeitig herausgefunden, dass wir Kunstgeschichte lieben, und als wir uns besser kennenlernten, wurden wir gute Freundinnen.«
»Und Sie blieben Freundinnen?«
Liz holte tief Luft und nickte. »Wir studierten zusammen, und als wir in London anfingen zu arbeiten, haben wir uns weiter getroffen.«
»Wann haben Sie das letzte Mal mit ihr gesprochen?«
Sie antwortete nicht sofort, biss sich auf die Lippe und starrte zum Fenster. »Letzte Woche. Das habe ich Ihnen schon gesagt.«
»Wann genau?«
»Donnerstag. Ich habe sie angerufen …, ihr gesagt, dass ich für einige Wochen wieder in London bin. Wir verabredeten uns für gestern Abend zum Essen, wie Sie wissen.«
»Und das Gespräch gab keinen Grund zur Beunruhigung?«
Wieder das Zögern, als ihre Blicke sich trafen. »Absolut nicht.«
»Wann haben Sie Miss Tenison davor das letzte Mal gesehen?«
»Ungefähr vor zehn Wochen.«
»Warum so lange?«
»Vielleicht sollte ich das erklären. Ich bin ebenfalls in der Kunstszene tätig, aber ich bin Akademikerin. Ich habe für ein privates Unternehmen in den USA an einem wissenschaftlichen Projekt gearbeitet. Das letzte Jahr über war dort mein Arbeitsplatz, doch der Job führt mich recht oft nach Europa, weswegen ich auch jetzt hier bin. Ich habe Rachel gesehen, als ich das letzte Mal hier war.«
Sie zog ein zerknittertes Papiertaschentuch aus dem Ärmel und putzte sich die Nase.
»Worüber haben Sie geredet?«
Ein unbehagliches Flackern huschte über ihr Gesicht, sie bewegte sich unruhig und schaute kurz auf das Taschentuch, das sie zu einem festen Ball zusammengedrückt hatte. »Nichts Besonderes, über gemeinsame Freunde und die Arbeit. Das Projekt näherte sich dem Ende, und ich wusste nicht recht, wie es weitergehen würde …, ob ich ganz nach England zurückkommen soll.«
»Hat sie überhaupt über ihr Privatleben gesprochen?«
»Eigentlich nicht.«
»Wie? Sie hat gar nichts gesagt?«
»Nichts, das mir in Erinnerung geblieben wäre.« Jetzt war ihr
Tonfall unangemessen scharf und ungeduldig. Aus irgendeinem Grund wollte sie manche Punkte schnell hinter sich bringen, und Tartaglias Neugier war geweckt.
»Aber Sie sagten, sie war eine gute Freundin?«
»Ja. Warum fragen Sie das immer wieder?«
»Ich versuche nur, mir ein Bild von ihr zu machen, mehr nicht«, sagte er einfach, in der Hoffnung, ihre Ängste zu zerstreuen, welcher Natur sie auch sein mochten. »Hatte sie denn keine Schwächen, keine Leidenschaften, keine Probleme?«
»Natürlich«, antwortete Liz seufzend. »Ich habe das Gefühl, ich werde ihr nicht gerecht. Wenn man jemanden so gut kennt, ist es wahrscheinlich schwer zu beschreiben. Ich will sie nicht mit ein paar billigen Zweizeilern zusammenfassen.«
Obwohl er sie verstehen konnte, hatte er das Gefühl, sie versuchte, ihn vom eigentlichen Punkt abzulenken. »Aber Sie müssen doch eine Ahnung davon gehabt haben, was sich in ihrem Leben so abspielte?«
Sie zögerte. »Vielleicht kann ich es nicht gut erklären.« Sie rutschte ungelenk auf dem Sessel hin und her, als säße sie unbequem, holte ein Kissen hinter ihrem Rücken hervor und warf es auf den Boden. »Ah, das ist besser«, seufzte sie. »Wo waren wir stehengeblieben?«
»Ich sagte, Sie müssen doch irgendeine Ahnung davon haben, was sich in Miss Tenisons Leben abspielte.«
»Ja, also, ich war eine Weile weg. Und Rachel war sehr verschlossen. Manchmal wusste man einfach nicht, was in ihr vorging, selbst ich nicht.«
»Waren Freundschaften schwierig für sie?«
Sie nickte langsam. »Sie konnte so unbeholfen sein, sogar wenn sie Menschen gut kannte. Ich nehme an, das ist nicht überraschend nach dem, was sie als Kind erlebt hat.«
»Mit wem war sie außer Ihnen noch befreundet?«
»Sie war am liebsten mit Leuten zusammen, die sie schon lange kannte, mit denen sie sich wohlfühlte. Das sind natürlich Patrick und seine Frau Emma und ihre beiden Kinder. Und ihr Geschäftspartner Richard und seine Frau …« Ihre Stimme erstarb, als fiele ihr etwas ein. Wieder fixierten ihre Augen die Stelle unter dem Fenster. »Am meisten
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