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Wer braucht schon Zauberfarben?

Wer braucht schon Zauberfarben?

Titel: Wer braucht schon Zauberfarben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu Pera
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wie die, die mein vermeintlicher Bruder für mich empfand, eigentlich seiner leiblichen Schwester galten.
    Ich drücke mich fest an ihn. Es tut so gut, bei ihm zu sein. Viel zu lange waren wir voneinander getrennt. Es fühlt sich so an, als hätte er mich wieder einmal vor einer Situation gerettet, in der ich leichtsinnig ein Wagnis eingegangen bin.
    „Du kannst nicht ermessen, wie sehr du mir gefehlt hast Raven“, flüstert er mir ins Ohr.
    „Artis. Wieso habt ihr das getan?“, hauche ich erschöpft. Ich will wissen, was das für eine Zukunft ist, von der mein Vater gesprochen hat. Will alles wissen, was ich nicht verstehe.
    „Alles zu seiner Zeit. Vater erwartet dich“, informiert mich mein Bruder.
    Ich reiße die Augen auf, löse mich sogleich aus dem Griff meines Bruders. „Warte nein. Nicht so schnell“, wende ich ein. „Zuerst sagst du mir, was das alles soll. Warum hat mich Vater fortgeschickt? Wozu das alles?“ Meine Stimme bricht und ich blinzle, weil mein Blick immerzu verschwimmt.
    Die Erinnerungen in meinem Kopf scheinen meinen Schädel zum Bersten gefüllt zu haben. Krampfhaft versuche ich, Ordnung ins Chaos zu bringen.
    Die Worte des Sehers hallen durch meinen Kopf: ‚
Ich sage Euch, es ist der Angriff der schwarzen Gilde. Jahrelang vorbereitet. Ein genialer Plan. Sie waren zur rechten Zeit, am rechten Ort
‘.
    Ich bin so aufgewühlt, dass mein Herz andauernd stolpert. Mein Bruder fängt meinen erneuten Fall ab, weil mich meine Beine nicht mehr tragen wollen.
    „Raven, was ist mit dir?“, haucht er mir ins Ohr. Ich glaube, ich habe gerade eine Panikattacke.
    Unzählige Fragen schießen mir durch den Kopf: Was, wenn ich tatsächlich Beliar aushorchen soll? Was, wenn mein Vater deshalb mit mir sprechen will? Was, wenn er der Puppenspieler ist und ich seine Marionette? Mein Schädel platzt gleich.
    Nadar meldet sich zu Wort: „Lass ihr Zeit. Sie hat gerade damit zu kämpfen, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Es ist gefährlich, Erinnerungen zu bannen, da es einen in den Wahnsinn treiben könnte.“ Halt die Klappe, ich bin bereits verrückt, außerdem ist diese Gedankenmanipulation auf Dauer sicher krebserregend oder so.
    Beim nächsten Gedanken steigt Übelkeit in mir hoch. Nadar – mein zukünftiger Ehemann. Mein Herz zieht sich krampfhaft zusammen. Niemals. Nicht in hundert Jahren.
    Die böse Stimme in meinem Kopf meldet sich zu Wort: Was, wenn sie dich dazu zwingen? Was, wenn sie ein Druckmittel gegen dich haben?
    Innerlich schreie ich, versuche mich in den Griff zu bekommen. Ohne Erfolg. Mein Körper ist dem nicht gewachsen.
    Verzweifelt rufe ich nach meinem Bruder, wie damals, als ich nicht mehr vom Baum runtergekommen bin. Die Dunkelheit zieht mich im nächsten Augenblick in ihre Tiefen.
     
     

Schwarz
     

    „Raven?“ Hey, ich kenne diese Stimme.
    „Vater?“, hauche ich.
    „Mein Kind.“ Jemand streicht mir über die Wange und drückt meine Hand.
    Ich kann die Augen nicht offenhalten, aber ich spüre die Geborgenheit, die von ihm ausgeht. Sehnsüchtig kralle ich mich an seiner Hand fest. Ich hab ihn unendlich vermisst. Sogar ein gequälter Laut entweicht meiner Kehle.
    Nach ein paar Versuchen bleiben meine Lider offen. Mein Vater strahlt mich an. Ich hatte ihn deutlich jünger in Erinnerung. Die Jahre haben Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Sein Vollbart ist sogar leicht ergraut. Die Liebe in seinem Blick hat die Zeit aber überdauert. Sie ist es auch, die meine Augen schlagartig mit Tränen fluten lässt. Mein Vater nimmt meine Wangen in seine Hände, zieht mich zu sich hoch und küsst meine Stirn.
    Seine Stimme ist mir so vertraut: „Raven. Welch eine Schönheit du geworden bist. Seht euch meine Tochter an. Habt ihr schon einmal etwas Anmutigeres gesehen?“, schwärmt er fasziniert.
    „Nein Bruder“, ertönt es von einem Mann, der die ganze Zeit über bei mir war. Tiberius – mein Onkel. Ich erkenne meinen Bruder, Artis, der an der Wand lehnt und den Seher Nadar. Ich habe eine Familie, bin nicht allein. Das Glücksgefühl, das mich nun durchströmt, ist unbeschreiblich.
    Tiberius kommt auf mich zu und drückt meine Hand. „Mädchen, wo warst du nur die ganze Zeit über? Und was zum Henker hast du mit deinem Haar und deinen Augen gemacht?“, will er wissen.
    „Ich hatte etwas zu erledigen“, antworte ich mit rauer Stimme.
    „Wie fühlst du dich?“, will mein Vater wissen.
    „Ich bin unendlich müde“, gestehe ich.
    „Ruh dich aus“,

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