Wer braucht schon Zauberfarben?
einem Zug aus. Igitt. Boa hey, wie eklig ist das denn?
Er hustet sogar und krallt sich am Tisch fest. Sein Atem geht stoßartig. Im nächsten Moment kippt er auch schon vom Stuhl. Ich hab mich so erschrocken, dass ich wie erstarrt bin. Nach der Schrecksekunde habe ich mich wieder im Griff und hechte zu ihm rüber.
Die Kapuze ist ihm bei seinem Sturz vom Kopf gerutscht. Sein Gesicht erschreckt mich so sehr, dass ich zurückweiche. Ich kenne dieses Gesicht. Habe von ihm geträumt. Der Traum, der mich jahrelang verfolgt hat. Die Erinnerung an die Nacht unserer Flucht vor den Dorfbewohnern, die unser Haus gestürmt haben. Junus, der Junge, der mich fortgebracht hat. Ein Fremder, der mich den Armen meines Bruders entrissen hat. Es war der Seher. Er hat mich durch den Steinkreis gebracht – ich bin mir sicher.
In meinem Traum war der Mann, der mich verschleppt hat, sehr jung. Der Seher sieht aus, als wäre er nicht älter als Beliar. Seinen kahlgeschorenen Schädel zieren zahllose Runen. Sein Gesicht ist kantig, fast durchsichtig bleich. Eigentlich sieht er erstaunlich gut aus. Wenn man davon ausgeht, dass ich einen alten, verkrüppelten Miraculix unter der Kapuze erwartet hatte. Okay. Was läuft hier?
Nadar scheint wach zu werden. Vorsichtshalber drücke ich ihm mein Messer an die Kehle. Als er die Augen öffnet und erkennt, wer ihn da bedroht, versucht er, Runen in die Luft zu malen. Schnell knie ich mich auf seine Hand. Das scheint ihn zu belustigen, denn er lächelt sogar. Seine Augen sind einfach weiß, als wäre er blind. Das irritiert mich zugegebenermaßen ein bisschen.
„Du hast mich durch den Steinkreis gebracht. Wieso?“, raune ich wild.
„Woher weißt du das?“, will er wissen.
„Ich habe dich im Traum gesehen“, antworte ich.
Er lächelt erneut. „Deine Erinnerungen kehren also langsam zurück“, mutmaßt er.
„
Antworte!
“, verlange ich ungehalten.
„Leg das Messer weg und ich erkläre es“, verlangt er. Sieht so aus, als hätte ich keine Wahl. Ich lasse ein paar Sekunden verstreichen, in denen ich den Traum vor meinem geistigen Auge abspule. Darauf bedacht, nach Details zu suchen, die mir bis jetzt entgangen sind. Daraufhin tue ich, was er sagt und löse mich von ihm.
„Keine faulen Tricks“, warne ich ihn. Ich meine, immerhin ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste.
Erneut grinst er schief. Bei genauerer Betrachtung sieht er gar nicht so furchteinflößend aus. Er hat sogar Grübchen.
„Du warst schon als Kind sehr wild“, erklärt er. Was soll denn das heißen? „Komm, setz dich“, verlangt er.
„Nein, warte“, stoße ich aus. Zu meinem nächsten Satz komme ich nicht mehr, denn jemand betritt gerade den Raum. Die Gestalt trägt einen schwarzen Mantel mit Kapuze.
„Darf ich vorstellen“, vernehme ich aus dem Mund des Sehers. „ A laric R aik T horben I vain S alvus oder auch kurz Artis Owen. Dein Bruder.“
Nein
.
Der Mann schlägt seine Kapuze zurück und stößt ein sehnsüchtiges: „Raven“ aus. Dabei streckt er die Hand nach mir aus, als würde er zerspringen, wenn ich sie nicht in den nächsten paar Sekunden ergreife. Seine Emotion erschreckt mich.
Warte mal, Raven? Ist das mein Name?
Ich heiße Rabe
? Der junge Mann hat rabenschwarzes, schulterlanges Haar und hellblaue Augen. Er ist ebenso in Beliars Alter und steht ihm in Sachen Muskelmasse um nichts nach. Bei genauerer Betrachtung ist er recht gutaussehend und wirkt sympathisch. Er ist mir irgendwie vertraut, aber ich erinnere mich nicht an ihn. Ich würde sagen, wir sind uns noch nie zuvor begegnet.
Meine Hände zittern. Fast automatisch weiche ich zurück und verlange: „Beweise es.“
Der Fremde lächelt. „Ich werde dir deine Erinnerungen zurückgeben Raven. Es wird Zeit, zu mir zurückzukehren, Schwester. Zu deiner Familie“, stößt er ebenso voller Sehnsucht aus. Dabei zieht er eine Kette aus seinem Hemd. Daran ist eine Glasmurmel befestigt.
„Den Zeitpunkt meiner Rückkehr bestimme ich, niemand sonst“, herrsche ich ihn an. Ich bin lieber vorsichtig. Es könnte eine Falle sein.
Er runzelt die Stirn, lächelt aber wenig später. „Gib mir deine Hand, Schwester“, fordert er. Ich zögere.
„Wer sagt mir, dass du mich nicht täuschen wirst. Womöglich pflanzt du mir die nächste Geschichte in meinen Kopf, um meinen Verstand zu vernebeln“, fauche ich ihn an.
Sein Blick verliert sich in meinen Zügen. „Du bist so schön. Vater wird Augen machen. Was ist mit deinem Haar und deinen
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