Wer bricht das Schweigen (German Edition)
sie an. Zornig nahm er ihr das Geld sofort aus der Hand, als sie es aus der Tasche nahm. „Dann bleibt ja kaum etwas für uns übrig. Ich werde das Geld mitnehmen, und zwar alles. Klaus hat mir gesagt, auf welches Pferd ich setzen muss. Aus den paar Kröten, die dir der Doktor gegeben hat, mache ich ein riesiges Vermögen. Die Miete ist dann eine Kleinigkeit für uns. Meinetwegen kannst du dem Doktor dann auch sein Geld wiedergeben.“ Er sprang auf. Seine Augen glänzten wie im Fieber. Nervös fuhr er sich mit den Fingern durch die dichten blonden Haare. „Ich habe es jetzt eilig, Schätzchen, das siehst du doch ein?“ Er ließ das Geld in seiner Brieftasche verschwinden.
„ Du hast mir doch versprochen, dass wir diesmal unsere Schulden bezahlen, Harald“, sagte sie den Tränen nahe. „Beim Kaufmann bekomme ich schon nichts mehr, weil er Angst um sein Geld hat.“
„ Sag ihm, er soll sich noch ein paar Tage gedulden. Meinetwegen soll er sich auch noch Zinsen berechnen, darauf kommt es mir dann auch nicht mehr an. Komm in meine Arme, mein Schatz, damit ich dir noch einen Abschiedskuss geben kann.“
Er streckte den Arm nach ihr aus. Hingebungsvoll schmiegte sie sich an ihn. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe, Harald“, flüsterte sie zärtlich an seinem Ohr. „Warum können wir beide denn nicht auch einmal Glück haben? Wenn du endlich Arbeit finden würdest...“
„ Ich werde das Glück für uns finden, Liebling“, sagte er übermütig. „Und jetzt darfst du mich nicht länger aufhalten. Ich werde Klaus aus einer Telefonzelle anrufen müssen, nachdem wir den Luxus eines Telefons hier noch nicht haben. Aber das wird sich bald ändern, das verspreche ich dir. Leben kann so schön sein, wenn man reich ist, Bettina.“
Sie saß am Bettrand und hörte, wie er wegfuhr. Ihr Herz tat weh, wenn sie daran dachte, dass er jetzt wieder dem Glück nachjagte, um ihr ein schönes Leben bieten zu können. Dabei war sie doch schon ganz zufrieden, wenn er nur bei ihr war. Aber davon wollte er ja nichts hören.
Seufzend stand sie dann auf. Sie wollte nachsehen, ob Frau Köhler schon zurück war. „Du kommst auch mit, Natalie“, sagte sie, und hob die Kleine aus dem Gitterbett. Die alte Frau hatte eine Schwäche für ihre kleine Tochter, darum war es sicher kein Fehler, wenn sie die Kleine mitnahm.
Diesmal kam die Hausbesitzerin sofort heraus, als sie bei ihr klingelte. „Dir habe ich vom Einkaufen etwas mitgebracht, Natalie“, sagte die alte Dame erfreut, als sie das Kind sah. „Einen kleinen Plüschhasen, gefällt er dir?“
Lächelnd schaute sie dann zu, wie das kleine Mädchen sein Gesicht an den Hasen schmiegte. „Einen Lutscher habe ich ihr auch mitgebracht, Frau Sommer. Darf ich ihr den geben?“
„ Warum denn nicht?“, fragte Bettina verwundert. „Natalie mag alles, was süß schmeckt. Ich muss Ihnen aber noch ein Geständnis machen, Frau Köhler. Mit der Miete wird es vorerst noch etwas dauern. Mein Mann ist weggefahren, um Geld zu besorgen. Er will morgen oder übermorgen zurück sein, dann bekommen Sie Ihr Geld. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass Sie noch warten müssen?“, fragte sie ängstlich.
„ Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Sommer. Ich kann warten, bis Sie das Geld haben“, versicherte ihr die alte Dame mitleidig. Sie wusste längst, was los war. Ihre Mieterin tat ihr von Herzen leid. Sie war ihrem Mann hörig, darum konnte ihr wohl niemand helfen. Aber für diesen entzückenden kleinen Blondschopf konnte sie etwas tun, solange sie noch rüstig war. Das Kind war ihr ans Herz gewachsen, nur seinetwegen fand sie sich damit ab, dass sie von ihren Mietern wahrscheinlich nie Geld sehen würde.
* * *
Die Unruhe in dem kleinen Turnsaal legte sich sofort, als die Lehrerin hereinkam. Etwa zwanzig Kinder unterschiedlichen Alters stellten sich in Reih und Glied auf. Erwartungsvoll schauten sie auf ihre Lehrerin.
„ Heute sollt ihr einmal selbst entscheiden, was wir in der nächsten Stunde machen“, sagte Janina Sauer. Als sofort ein Tumult losbrach, protestierte sie lachend: „So werdet ihr euch doch nie einig, Kinder. Jeder von euch hat eine Stimme. Es kommt darauf an, für welche Sportart sich die meisten am Schluss entschieden haben.“
Belustigt schaute sie den Kindern zu, als sie sich nun in kleine Gruppen aufzuteilen begannen. Janina Sauer hatte es noch nie bereut, dass sie Lehrerin geworden war. Auch dass sie
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