Wer den Himmel berührt
ein paar Tage später sind wir mit drei Kumpeln von ihm im Kino gewesen und hinterher tanzen gegangen. Irgendwie macht es Spaß, die einzige Frau unter vier Männern zu sein. In einer Uniform sieht er noch besser aus denn je, und er und seine Kumpel benehmen sich, als seien sie diejenigen, die den Krieg gewinnen werden. Es war großartig, ein vertrautes Gesicht zu sehen, und ich werde mich vor meiner Abreise noch einmal mit ihm treffen.
Jedenfalls, meine liebste Cassie, komme ich bald nach Hause und ich muß Dir sagen, wie sehr ich mich darauf freue. Mir scheint es Ewigkeiten her zu sein, seit wir das letzte Mal bis in die frühen Morgenstunden dagesessen und geredet haben.
Cassie blickte von dem Brief auf und nahm wahr, daß ihre Gefühle im Aufruhr waren. Fiona kam nach Hause. Gott sei Dank. Blake war in Irland, lachte, ging ins Kino und tanzte? Blake hatte mit Kumpeln gezecht, während sie eine Abtreibung über sich hatte ergehen lassen?
Wie kam es, daß sie einen Brief von Fiona bekommen hatte, aber nicht von ihm? Warum hatte er ihr nicht längst geschrieben?
Die Tage vergingen, und es kam immer noch kein Brief von Blake. Dann vergingen Wochen. Cassies Leben verlief wieder in geregelten Bahnen, aber das Fliegen mit Warren machte nicht annähernd soviel Freude wie mit Sam.
Er war sicherlich ein fähiger Pilot. Er lernte, Gehöfte und selbst die abgelegenste Ranch zu finden. Er assistierte ihr bereitwillig in Notsituationen, doch ihm fehlte Sams – Sams was? Sams draufgängerische Haltung? Sams Begabung, den meisten Dingen einen komischen Aspekt abzugewinnen? Die ermutigenden Blicke, die Sam ihr immer zugeworfen hatte, oder die tröstliche Hand, die er ihr auf die Schulter oder auch nur auf den Arm legte?
Warren war ein vorsichtigerer Pilot als Sam. Nein, das war nicht fair gegenüber Sam, der ein großartiger Flieger war. Vielleicht lag es daran, daß Sam bereit war, Risiken einzugehen, die Warren nicht einzugehen bereit war. Sam konnte auf einer Briefmarke landen. Sam konnte eine Flughöhe von hundertfünfzig Metern unter den Wolken halten, ohne daß es ihn die geringste Anstrengung zu kosten schien. Sam sah einen Sturm heranziehen und liebte die Herausforderung, die es darstellte, ihn zu umgehen oder gegen ihn zu siegen. Sam ging nie ein unvertretbares Risiko ein, aber Warren ging überhaupt keine Risiken ein.
Es dauerte Wochen, bis Cassie dahinterkam, was es war. Warren und Mary waren so … abgestumpft. Mary war früher Krankenschwester gewesen und jederzeit bereit, im Krankenhaus auszuhelfen, und sie flog sogar zu Sprechstunden mit ihnen hinaus. Cassie hatte den Eindruck, daß es Mary Spaß machte, doch sie verlieh ihrer Freude nie Ausdruck. Sie und Warren waren einander ähnlich. Beide waren durch und durch sachlich und nüchtern. Sie taten ihre Arbeit, redeten monoton und sprachen nicht viel. Sie wägten alles sorgsam ab.
Cassie gefiel der Umstand, daß sie bei den Patienten nicht zwischen Aborigines und Weißen zu unterscheiden schienen, und sie begann, Mary immer häufiger aufzufordern, sie zu Behandlungen zu begleiten. Sie ließ Mary Zähne ziehen und Impfungen vornehmen, während sie sich der weniger alltäglichen Fälle annahm. Damit konnten sie einen doppelt so großen Einzugsbereich bewältigen, da sie nur halb soviel Zeit brauchten. Mary begleitete sie nicht auf Noteinsätzen, weil sie nicht genug Platz für Patienten und Sauerstoff und einen zusätzlichen Passagier hatten, aber schon bald wurde es zur Regel, daß sie zu Sprechstunden mitflog.
Es gab nichts mehr in Cassies Leben, worüber sie sich freuen konnte. Sam war nicht da, um seine Tage mit ihr zu verbringen und ihre Sorgen und ihre Erfolge mit ihr zu teilen. Er war nicht da, um Probleme mit ihr zu besprechen. Und Blake … Allmählich stellte sich Schlaflosigkeit bei ihr ein. Sie hatte immer noch nichts von ihm gehört.
Draußen auf Tookaringa hatten sie nur einen einzigen Brief von ihm erhalten, in dem er seine Postanschrift mitteilte.
Sie hatte das Gefühl, mit der Zeit würde sie wie Mary werden, dem Leben sachlich und nüchtern begegnen, es bewältigen, aber niemandem Freude bereiten und keine Freude daraus schöpfen. Vielleicht brachten Kriegszeiten das automatisch mit sich.
Statt sich Sorgen um Blake zu machen, bekam sie allmählich Wut auf ihn. Oh, komm endlich nach Hause, Fi. Ich muß dringend mit dir reden. Und vielleicht würde Fiona ihr einen Brief von Blake mitbringen. Sie würde lächeln, ihn hinter ihren
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