Wer den Himmel berührt
Rücken halten und in einem scherzhaften Tonfall zu ihr sagen: »Rate mal, was ich für dich habe.«
Eines Abends war Cassie gerade erst eingeschlafen, als um kurz nach zehn das Telefon läutete. Im Busch hatten so wenige Leute ein Telefon, daß Cassie immer wieder erschrak, wenn es läutete.
Es war Steven Thompson. In dem Moment, in dem er »Cassie?« sagte, konnte sie die Panik schon aus seiner Stimme heraushören.
»Es geht um Jennifer. Himmel, Cassie. Sie hat den Kerosinkühlschrank reguliert, und er ist explodiert!«
Cassie war sofort hellwach. »O mein Gott.«
»Sie kann nichts sehen. Sie ist blind. Ihr Kopf blutet und hat Schnittwunden. Cassie!«
Es war absolut ausgeschlossen, um diese Tageszeit rauszufliegen. Sie mußten bis kurz vor dem Morgengrauen warten. Wenn Sam dagewesen wäre – er kannte die Strecke so gut, aber … o Gott, die beiden hatten Kinder verloren, weil sie so weitab von jeder medizinischen Versorgung lebten. Und jetzt auch noch Jennifer?
»Steven, wir werden hier aufbrechen, ehe es hell wird. Ich sage dir jetzt, was du tun mußt, bis ich bei euch sein kann.«
»Mein Gott, Cassie, sie darf nicht sterben.«
»Nein, natürlich nicht.«
Sie konnte nicht wieder einschlafen. Sie konnte an nichts anderes als an Jennifer denken. Blind. Blutend. Mit Brandverletzungen.
Um halb fünf rief sie Warren an. »Wir müssen augenblicklich aufbrechen«, sagte sie zu ihm. Wenn sie eine Stunde in der Luft waren, würde das Morgengrauen nahen.
Von der Funkstation aus rief sie Chris an, obwohl sie wußte, daß sie ihn mit ihrem Anruf wecken würde. Trotzdem ging er beim ersten Läuten dran und wirkte kein bißchen verschlafen.
»Chris, es tut mir leid, daß ich dich so früh störe. Jennifer Thompson hat sich üble Verbrennungen zugezogen.« Sie berichtete ihm, was Steven gesagt hatte. »Ich fliege jetzt gleich raus. Wenn es so schlimm um sie steht, wie Steven sagt, dann können wir sie nicht hier behandeln, stimmt’s? Nicht, wenn sie Verbrennungen dritten Grades hat.«
Sie konnte fast vor sich sehen, wie er den Kopf schüttelte. »Auf Verbrennungen ist Adelaide am besten eingerichtet.«
»Genau das hatte ich gefürchtet. Falls ich glaube, daß es zu schlecht um sie steht, machen wir uns sofort auf den Weg dorthin, obwohl uns der Flug weiß Gott acht bis zehn Stunden kosten wird. Könntest du dort anrufen und sie vorwarnen, daß wir unter Umständen eine Patientin bringen?«
»Selbstverständlich.« Er zögerte nur eine Sekunde lang. »Willst du, daß ich mitkomme?«
»Das ist wirklich nicht nötig. Was könnten zwei Ärzte schon tun, was einer nicht allein könnte?«
»Moralische Unterstützung leisten. Ich weiß, daß du diese Frau sehr gern hast.«
Mein Gott, Chris wurde immer menschlicher. Wollte sie ihn an ihrer Seite haben? »Wir brechen in zehn Minuten auf.«
»Gib mir fünfzehn, und ich werde dasein.«
Ihr wurde klar, daß Sonntag war und er seinen freien Tag hatte.
Warren war schon einmal nach Tookaringa geflogen, vor einem Monat, und daher war er mit dem Landeplatz vertraut. Ein halbes Dutzend Männer lotste ihn auf die Landebahn. Cassie sprang praktisch durch die offene Tür hinaus, packte ihre Arzttasche und rannte auf das Haus zu. Chris war dicht hinter ihr. Er war noch nie in Tookaringa gewesen.
Jennifer lag im Bett und atmete rasselnd, und ihr Gesicht war derart entstellt, daß Cassie sie kaum erkennen konnte. Steven saß mit blutunterlaufenen Augen neben ihr und hielt ihre Hand.
»Sie ist nicht bei Bewußtsein«, sagte er, und seine Stimme war ebensowenig wiederzuerkennen wie Jennifers Gesicht.
Gott sei Dank, daß sie das Bewußtsein verloren hat, dachte Cassie und beugte sich über ihre Freundin.
Chris ging um das Bett herum, blieb auf der anderen Seite stehen und beugte sich ebenfalls über die Patientin. »Mein Gott«, flüsterte er.
Was auch geschehen mag, dachte Cassie, sie wird nie wieder schön werden. Aber das war zweitrangig. Würde sie jemals wieder sehen können? Würde sie den Unfall überleben?
Jennifer zitterte; Gänsehaut überzog ihre Arme. »Lungenentzündung«, sagte Chris.
Ja, ich weiß, dachte Cassie. Sie sah Chris an. »Adelaide?«
»Ja.«
Dafür hätte sie ihn nicht gebraucht. Er konnte das rasende Pochen ihres Herzens nicht eindämmen, nichts dagegen unternehmen, daß ihr flau in der Magengrube war. Sie wandte sich an Steven. »Wir werden sie augenblicklich in die Spezialklinik für Verbrennungen nach Adelaide fliegen.« O Gott, würde
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