Wer den Himmel berührt
Landeplatz aus dem Flugzeug ausgestiegen war, fuhr sie zur Funkstation rüber. Sie würde gerade noch rechtzeitig zur Funksprechstunde um vier Uhr vierzig kommen. Wie sonst auch fragte sie sich, wann Horrie wohl je eine Veranda für Betty bauen würde. Während die drei Kinder gekommen waren, hatten sie mit der Zeit zwei kleine Zimmer an die Hütte mit dem Wellblechdach angebaut. Cassie wunderte es immer wieder, daß sie Betty nie anders als fröhlich erlebt hatte, und doch hatte Betty seit nunmehr fast sechs Jahren mindestens einmal im Monat wegen der Veranda an Horrie herumgenörgelt. »Damit man irgendwo im Schatten sitzen kann«, sagte sie dann jedesmal.
Vor der Hütte stand ein neues Fahrzeug, ein blinkender blauer Holden. Es kam so gut wie nie jemand hierher, und daher fragte sie sich unwillkürlich, wer wohl bei Horrie und Betty zu Besuch war.
Sie lief durch den Staub zur Tür, öffnete sie und winkte Horrie zu, der bereits seinen Posten vor den Funkgeräten eingenommen hatte. Als sie die Tür schloß, hielt ihr jemand von hinten die Augen zu.
Horries Stimme war überschwenglich. »Rate mal, wer das ist?«
Sie blieb einen Moment lang still stehen, und dann wußte sie es mit glasklarer Sicherheit. Ehe sie auch nur seinen Namen aussprechen konnte, brannten schon Tränen in ihren Augen. »Sam? Bist du es, Sam?«
Die Hände wurden von ihren Augen gezogen, legten sich auf ihre Schultern und drehten sie zu Sam um, auf dessen Gesicht ein Grinsen stand. Sie schlang die Arme um ihn und sprach durch einen Tränenschleier immer wieder seinen Namen aus. Sie glaubte nicht, je in ihrem Leben derart froh gewesen zu sein, jemanden zu sehen. Und doch war sie nicht sicher, ob sie ihn nach so vielen Jahren noch erkannt hätte.
Er war nicht mehr dünn; er war stämmig. Er hatte sich einen buschigen Schnurrbart wachsen lassen, und er hatte Falten um die Augen, kleine Krähenfüße. Unter dem schmalkrempigen Hut, der seine Baseballmütze abgelöst hatte, war er blaß, doch in seinen Augen funkelte noch sein früherer Sinn für Spaß.
»Warum hast du uns nicht Bescheid gegeben?« fragte sie.
»Um die Überraschung zu verderben?«
»Wann bist du angekommen?«
»Wir waren etwa um die Mittagszeit hier.« Sam legte ihr die Hände auf die Schultern, trat einen Schritt zurück und sah sie an. »Du siehst wirklich gut aus. Dein Haar gefällt mir.«
Verlegen fuhr sie sich mit der Hand durch die schulterlangen Locken. »Es ist so wunderbar, dich zu sehen.«
»Ich bin in dem festen Glauben nach Hause gekommen, du bräuchtest einen Piloten. Das letzte Mal hast du geschrieben, daß du jetzt selbst fliegst. Ich konnte einfach nicht aufhören zu lachen. Ich habe mir gesagt, es gibt nichts, was du nicht schaffst, – aber ich hoffe immer noch, daß du einen Piloten brauchst.«
»Meine Güte, ob ich einen Piloten gebrauchen kann? Und wie! Ich kann schließlich nicht zwei Posten gleichzeitig ausfüllen.« Es war ein so schönes Gefühl, ihn wiederzusehen, in diese lachenden Augen zu schauen und sich daran zu erinnern, wie es gewesen war, mit ihm rauszufliegen.
»Wo wohnst du?«
»Das wissen nur die Götter. Bei ›Addie’s‹ ist alles besetzt, und das Hotel ist ein Dreckloch. Ich habe mit Horrie und Betty gefrühstückt. He …«, sagte er, lief zu der Tür, die den Funkraum mit Bettys Küche verband, und öffnete sie. »Süße, komm, damit ich dir die beste Ärztin auf Erden vorstellen kann.«
In der Tür tauchte eine hellblonde, sehr hübsche junge Frau auf, die lächelte. Nach Cassies Schätzung war sie etwa im fünften oder sechsten Monat schwanger.
»Liv, das ist der Doc, über den du schon soviel gehört hast. Cassie, das ist meine Frau Olivia.«
Seine Frau?
Ehe ihr klar war, was sie sagte, hatte sie bereits gesagt: »Natürlich könnt ihr bei uns bleiben, bis ihr eine Unterkunft gefunden habt. Ich wohne jetzt wieder in Fionas Haus – wir haben es ihr abgekauft. Und ihr könnt ihr früheres Zimmer haben.«
Sam setzte den Hut ab und hielt ihn in der Hand. »Ich kann einfach nicht glauben, daß du Mrs. Chris Adams bist. Dieser Brief hat mich reichlich schockiert.«
Warum schockierte es sie derart, daß Sam mit diesem blonden Mädchen verheiratet war? Viel mehr als das war Olivia nicht. Allerdings von genau der Sorte, die sie vorhergesagt hätte. Wahrscheinlich neigte Olivia zum Kichern, überlegte sie sich.
»Ja, wir werden eben alle erwachsen«, fuhr Sam fort.
Ich schätze, das war aber auch an der Zeit, dachte
Weitere Kostenlose Bücher