Wer den Himmel berührt
Frau dazu, auf Zehenspitzen herumzuschleichen, du zeigst so gut wie kein Interesse an deinem neugeborenen Baby, und dein Vater ist nur noch mit dem Versuch beschäftigt, dir alles recht zu machen.«
Sie unterbrach sich schwer atmend und fragte sich, ob sie sich wohl alle drei zu Feinden gemacht hatte.
»Natürlich ist das deren Schuld«, fuhr sie fort, als niemand etwas sagte. »Sie lassen ihr Leben von dir bestimmen, statt ihr eigenes Leben weiterzuführen, statt Befriedigung aus all den wunderbaren Dingen zu schöpfen, die das Leben bietet, und sie lassen zu, daß du auch ihnen jeden Spaß nimmst und daß sie alles in sich hineinfressen müssen.«
Fiona schlug sich die Hand auf die Brust. »Cassie!«
»Es ist wahr, Fiona, und irgendwo in deinem Innern weißt du es. Wenn Blake auch nur eine Spur von Liebe für dich und Steven aufbrächte und wenn er sich nur so weit öffnen würde, sein Kind zu lieben, dann ginge er nach Melbourne, damit man dort Maß für einen Arm nehmen kann. Dr. Castor sagt mir, daß damit der Gleichgewichtssinn wiederhergestellt wird – er glaubt, du könntest sogar wieder reiten. Du kannst alles tun, was du früher getan hast, außer vielleicht einen Schnürsenkel zubinden, und ich habe dich nie mit Schuhen gesehen, die Schnürsenkel brauchen!«
Steven fragte: »Ist das wahr, Cassie?«
»Es erfordert Zeit und Willenskraft. Und auch Selbstdisziplin. Aber Dr. Castor sagt, daß ganz erstaunliche Erfolge erzielt werden. Du bist nicht der einzige Mensch auf der Welt, der einen Arm verloren hat, Blake. Denk an Menschen, die das Augenlicht verloren haben. Denk an diejenigen, die sich nie mehr bewegen können. Mit dem Verlust deines Armes hast du nicht zugleich deine Männlichkeit eingebüßt. Du hast sie weggeworfen. Hier hast du die Gelegenheit, sie wiederzuerlangen, etwas aus deinem Leben zu machen und der Mensch zu sein, den dein Vater und Fiona geliebt haben.« Sie betonte die Vergangenheitsform.
Fiona fing an zu weinen und stand vom Tisch auf.
Cassie hoffte, daß sie es sich nicht für alle Zeiten mit ihr verdorben hatte. Sie hatte das Gefühl gehabt, zu extremen Mitteln greifen zu müssen, um zu Blake vorzustoßen. Sie hatte sich damit auseinandergesetzt, ob sie nicht versuchen sollte, ihn allein zu erwischen, dann jedoch beschlossen, wenn sie in Gegenwart seiner Familie mit ihm redete, könnten ihre Worte mehr Gewicht haben.
In dem knappen Jahr, seit er wieder zu Hause war, hatte sie insgesamt weniger mit ihm geredet als während dieser einen Mahlzeit. Er hatte so getan, als sei sie unsichtbar, aber andererseits benahm er sich seinem Vater gegenüber und oft auch gegenüber Fiona ganz genauso. Und allen anderen in seiner Umgebung auch.
Später kam Fiona in Cassies Zimmer. »Ich möchte nicht, daß du glaubst, ich sei dir böse. Es war nur so, daß, o Cassie, daß du all die Dinge gesagt hast, die ich so gern gesagt hätte. Manchmal ertrage ich es einfach nicht. Ich habe das Gefühl, mit einer leeren Hülle zusammenzuleben. Steven geht es genauso. Jegliche Freude ist vollständig aus unser beider Leben geschwunden, und keiner von uns beiden hat den Mumm aufgebracht, es auszusprechen. Was nicht heißt, daß es etwas nützen würde, es zu sagen. Cassie, ich bin so schrecklich unglücklich, und dabei sollte ich so froh darüber sein, daß mein Mann wieder zu Hause ist – und daß ich ein Baby habe.«
Cassie nahm ihre Freundin in die Arme. »Wenn ihr in der Stadt leben würdet, würde ich vorschlagen, einen Psychiater aufzusuchen, einen, der auf die Behandlung von Kriegsfolgen spezialisiert ist. Das könnte trotzdem keine schlechte Idee sein. Aber, Fi, ich muß dir sagen, diese neuen Arme und Beine sind wirklich reine Wunder. Ich habe sie selbst noch nicht gesehen, mir aber sagen lassen, wie toll sie sind.«
»Er wird es niemals tun, verstehst du? Er wird keine Hilfe annehmen. Er glaubt, er muß alles selbst fertigbringen, weil er sonst mittelmäßig ist. Trotzdem danke ich dir für den Versuch. Du solltest nur wissen, daß mein Weinen nicht bedeutet hat, daß ich dir böse gewesen wäre.«
»Gott sei Dank. In dem Punkt habe ich mir eine Zeitlang Sorgen gemacht, aber ich hatte das Gefühl, diese Dinge einfach sagen zu müssen.«
Am nächsten Morgen erwartete Blake sie allein am Frühstückstisch. »Vereinbarst du einen Termin für mich?« fragte er. »Ich will nach Melbourne fliegen, um diesen Arzt aufzusuchen, von dem du gesprochen hast.«
Nachdem sie auf dem
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