Wer den Himmel berührt
Augen an. »Ich habe es getan! Ich könnte nicht schuldiger sein, wenn ich selbst den Schuß abgegeben hätte! O Gott im Himmel!« schluchzte er.
»Lassen Sie mich Alison untersuchen«, sagte Cassie, obwohl sie wußte, daß der Frau nur noch Minuten blieben.
Greg glitt von seiner Schwester hinunter. Er weinte und hatte sich die Hände vors Gesicht geschlagen.
»Wer ist die andere Frau?« fragte Cassie.
Greg blickte zu ihr auf, und seine Augen schienen tiefer in die Augenhöhlen zurückzuweichen. »Meine Frau«, sagte er, und seine Stimme klang erstickt.
O mein Gott, dachte Cassie, als sie Alison untersuchte. »Ich kann nichts mehr für sie tun. Niemand kann jetzt noch etwas für sie tun.«
Sie schlang Greg die Arme um die Schultern. Was hier passiert war, war offenkundig. Alison konnte den Umstand nicht akzeptieren, daß ihr Bruder verheiratet zurückgekehrt war. Das hatte für sie bedeutet, daß hier kein Platz mehr für sie war.
Sam stand in der Tür.
»Himmel, wir waren noch keine Stunde im Haus«, sagte Greg und begann wieder zu weinen. »Ich hätte schreiben sollen. Ich hätte sie vorwarnen sollen.«
Ja, dachte Cassie, das hätte er tun sollen. Sam und sie sahen einander an. »Die Polizei wird rauskommen und Fragen stellen müssen.« Sie beobachtete, wie Alison ihre letzten schwachen Atemzüge machte, und das hielt sie für weit besser für sie, als wenn sie die gerichtliche Untersuchung, die Verhandlung und die Gefängnisstrafe hätte überstehen müssen. Sam würde jetzt erst einmal Leichensäcke aus dem Flugzeug holen müssen, und sie würden hier saubermachen. Greg war gewiß nicht in der richtigen Verfassung, um ihnen dabei zu helfen.
»Möchten Sie mir erzählen, wie es passiert ist?« Sie sagte sich, die Polizei würde die Information zu schätzen wissen.
Er schwieg so lange, daß Cassie in die Küche ging, über die Leiche von Gregs Frau stieg und einen Kessel Wasser aufsetzte. In der Speisekammer fand sie Lappen und begann, die Wände zu säubern. Hautfetzen blieben an dem feuchten Tuch kleben. Sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Er hatte es wirklich nicht wissen können, sagte sich Cassie. Es war nicht seine Schuld. Alison mußte gewußt haben, daß eines Tages … schließlich war Gregory selbst jetzt noch nicht viel älter als Anfang Dreißig. Alison hätte wissen müssen, daß er sich eines Tages eine Frau wünschen würde, eine Familie.
In einem Wandschrank im Flur fand Cassie eine Decke, mit der sie die Leiche der Ehefrau zudeckte. Das Wasser auf dem Herd kochte. Sie fand Tee, brühte ihn über und brachte Gregory eine Tasse, der immer noch neben der Leiche seiner Schwester saß und in ihre blicklosen Augen starrte. Er winkte mit einer Hand ab, um ihr zu bedeuten, daß er keinen Tee wollte.
»Sie werden den Tee trinken, ob Sie wollen oder nicht.«
Er blickte zu Cassie auf und nahm ihr dann die Tasse aus der Hand, als sie sich neben ihn setzte, um selbst eine Tasse Tee zu trinken.
»Ich habe von Anfang an gewußt, daß ich Susan gegenüber unfair war«, sagte er mit bebender Stimme und zitternden Händen. »Aber ich habe geglaubt, damit wären unsere Probleme gelöst und den Lügen ein Ende bereitet, die wir unser ganzes Leben lang gelebt haben.«
Das wollte sie nicht hören. Sam kam zu ihr, stellte sich neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter, während sie aufrecht auf dem hochlehnigen Stuhl saß, Greg ansah und vor dem Fenster einen Vogel zwitschern hörte. Eine leichte Brise ließ den zarten Baumwollvorhang rascheln. Cassie fürchtete zu wissen, was jetzt kam.
Greg sah sie an. »Ich dachte, wenn Susan mit mir herkäme, wenn sie und Alison sich anfreunden könnten, dann könnten wir alle … o Himmel! Ich habe es doch besser gewußt. In meinem tiefsten Innern habe ich es besser gewußt. Ich wollte nur einfach den Kreis aufbrechen, den Teufelskreis, in dem Alison und ich gelebt haben. Ich habe Susan nicht geliebt. Ich habe niemals eine andere Frau als Alison geliebt.« Er ließ seine Tasse auf den Boden fallen, beugte sich vor, um sich die Hände vors Gesicht zu schlagen, und weinte so erbärmlich, daß sich sein Schluchzen in Cassies Herz schnitt.
Gleichzeitig verspürte sie eine leichte Übelkeit.
»Ich dachte«, sagte er weinend, »ich könnte uns davor bewahren, in die Hölle zu kommen.«
Cassie stand auf, trat ans Fenster und nahm den Vorhang, der sich bauschte, zwischen die Fingerspitzen. In der Ferne sah sie eine schwarzweiß gefleckte Kuh aus einem
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