Wer den Himmel berührt
seid der Grund dafür, daß ich so scharf auf diese Idee bin. Ich habe seit viel zu vielen Jahren keinen längeren Zeitraum mehr mit meinem Bruder verbracht. Und daß er dich geheiratet hat, ist das Beste, was ihm je hätte passieren können.« Sie umarmte Cassie.
»Mir würde es natürlich großen Spaß machen, dich hierzuhaben.«
»Okay, dann wäre das also geregelt.« Romla fuhr sich mit ihrem Lippenstift über den Mund. »Laß uns gehen. Ich bin fertig.«
Die Turnhalle der Schule war mit weißem und hellblauem Kreppapier drapiert; ein Punktscheinwerfer hing mitten an der Decke, drehte sich im Kreis und warf Muster aus Licht und Schatten auf die Tanzenden. Da ein Verbot für alkoholische Getränke bestand, war draußen eine Bar aufgebaut worden, doch Limonade und Sodas wurden an einem langen Tisch in der Ecke verkauft. Es war die erste Veranstaltung, deren Erlös wohltätigen Zwecken zukam, bei der die Fliegenden Ärzte die Sponsoren waren; beabsichtigt war, von den Einnahmen neue Geräte zu erwerben. Aus einem Umkreis von Meilen waren Leute in die Stadt gekommen, und niemand hatte mehr ein freies Gästezimmer. »Addie’s« und sogar das Hotel waren vollständig belegt. Morgen früh würde unten bei den hohen Eukalyptusbäumen am Fluß, der jetzt nur noch ein Rinnsal war, ein Frühstück im Freien veranstaltet werden.
»Roger wird den ganzen Abend draußen an der Bar verbringen«, sagte Romla. »Ich könnte ihn selbst dann nicht zum Tanzen bewegen, wenn sein Leben davon abhinge.«
In der Halle herrschte, wie in diesem ganzen Teil des Kontinents, ein enormer Überschuß an Männern. Und Romla stand trotz ihrer dreiunddreißig Jahre, wo auch immer sie auftauchte, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Romla hatte recht. Roger steckte nicht ein einziges Mal auch nur die Nase in die Turnhalle und zog es vor, im Freien herumzustehen, sich mit anderen zu unterhalten und zu trinken. Blake und Fiona waren zwar nicht in die Stadt gekommen, doch Steven war da, und sowie er Cassie sah, bahnte er sich einen Weg zu ihr. »Schenkst du einem alten Mann den ersten Tanz?«
»Ich kann nirgends einen alten Mann sehen«, sagte Cassie und tat so, als schaue sie sich um.
»Mit Komplimenten bringt man es weit«, sagte er und streckte die Arme nach ihr aus, als die Kapelle »I’ll Never Smile Again« zu spielen begann.
»Und ich habe geglaubt, so würde es mir ergehen«, sagte Steven, als er seine Arme um sie legte.
»Wie, hast du geglaubt, würde es dir ergehen?« Cassie hatte vergessen, wieviel Spaß das Tanzen machen konnte.
»Ich habe geglaubt, ich würde nie wieder lächeln. Ich vermisse Jenny an jedem einzelnen Tag meines Lebens, aber manche Dinge machen mir jetzt doch wieder Freude.«
»Die Zeit heilt alle Wunden«, murmelte Cassie. Ja, jetzt schnitt sich nicht mehr jedes einzelne Mal, wenn sie Blake sah, ein Messer durch ihre Brust.
»Wie zum Beispiel, mit dir zu tanzen.« Er zog sie enger an sich, und sie bewegten sich anmutig über die Tanzfläche, die sich allmählich füllte.
»Du bist ein guter Tänzer, Steven.«
»Und du wirst immer schöner. Du gefällst mir mit langem Haar.«
»Danke«, sagte sie. »Und dir merke ich an, daß du Freude daran hast, Großvater zu sein.«
Steven lachte. »Ich finde es unglaublich schön, Großvater zu sein. Fiona und die kleine Jenny sind das Beste, was uns widerfahren ist, seit … Jenny hätte Fiona und ihre Enkelin geliebt. Sie hat immer geglaubt, Blake und du, ihr beide würdet ein Paar. Ich habe es auch geglaubt. Vielleicht war das von unserer Seite aus Wunschdenken. Jedenfalls hätte ich nie geahnt, daß du und Chris …«
Aus dem Augenwinkel sah Cassie Sam und Olivia im Eingang stehen. Olivia sah aus, als würde sie jeden Augenblick ihr Kind bekommen. Sie klammerte sich an Sams Arm und sah sich im Raum um. Cassie hätte nicht sagen können, ob sie sich mit Furcht oder mit Vorfreude umschaute.
Sam sah sie und winkte ihr zu.
Steven drehte sich um und schaute in Cassies Blickrichtung. »Ein hübsches Dingelchen, findest du nicht auch?«
Dingelchen?
Vielleicht traf dieser Begriff auf Olivia zu. Cassie konnte sich immer noch nicht für sie erwärmen. Chris und sie luden Sam und Livvie gelegentlich zum Abendessen ein, und das Gespräch drehte sich um die Lästigkeiten und Beschwerden der Schwangerschaft, darum, wie trocken und braun Australien nach Suffolk wirkte und wie heiß es in Augusta Springs war. Außerdem hatte sie auch nicht erwartet, daß Sam bei ambulanten
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