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Wer fuerchtet sich vor Stephen King

Wer fuerchtet sich vor Stephen King

Titel: Wer fuerchtet sich vor Stephen King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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und ist genauso ein tiefenpsychologisches wie ein ungemein spannendes Stück Gebrauchsprosa.
    Jack Torrance, trockener Alkoholiker, zieht mit Frau und Sohn Danny (der über das Shining verfügt, die Präkognition [das zweite Gesicht], die Fähigkeit, vergangene und zukünftige Dinge zu sehen, und telepathisch mit anderen des Shinings mächtigen Menschen zu kommunizieren) den Winter über als Hausmeister ins Overlook-Hotel, um dort einen Roman zu schreiben. Torrance wurde als Kind misshandelt; sein Vater war Alkoholiker, hat seine Frau geprügelt und die Kinder mit der ständig ausrutschenden Hand erzogen. Er starb, als Jack dreizehn Jahre alt war, hinterließ aber einen starken Eindruck auf seinen Sohn. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen: Das Overlook übt einen schädlichen Einfluss auf Jack Torrance aus; er verfällt dem Wahnsinn, das Übersinnliche verführt ihn und bekommt ihn in den Griff wie früher der Alkohol: Wie vor Jahren ein früherer Hausmeister Frau und Töchter getötet und zerstückelt und sich danach eine Kugel in den Kopf geschossen hat, läuft auch Torrance Amok.
    Anders als in Kubriks Filmfassung wird Torrance im Roman getötet, als das Hotel niederbrennt; die reinigende Kraft des Feuers zieht sich als Motiv durch große Teile von Kings Werk. Auch überlebt im Roman Dick Hallorann, der ebenfalls des Shinings fähige farbige Koch. Überhaupt weisen Buch und Film beträchtliche Unterschiede auf. Angelegt wie ein klassisches Theaterstück mit seiner Einteilung in fünf Akte, mit Beginn, Verwicklung, Steigerung, Auflösung und Schluss, gewinnt das Buch eine phänomenale Spannung durch Kings Schreibtechnik, in jedem Kapitel (übertragen jeder Theaterszene) die Schauplätze und Personen rasant zu wechseln. Die Handlungsfäden ergänzen sich, laufen nebeneinander her, steigern sich gegenseitig zu schier unerträglicher Spannung empor. Im Roman sind die Charaktere wesentlich besser ausgearbeitet als im Film; King verfügt über die Begabung, Personen zu schildern, dass man tatsächlich glaubt, sie könnten jeden Augenblick den Seiten des Romans entspringen. Sie reagieren psychologisch exakt motiviert, sind äußerst glaubhaft und plastisch.
    Kings Sprache ist exakt und treffend. Anders als im Film, in dem die Umgebung und das Overlook-Hotel in geometrisch genau festgelegten Figuren aufgezeigt und dem Zuschauer geradezu eingehämmert werden, beschwört King im Buch ein wildes, farbiges Eigenleben der Natur herauf, ja eine dämonische Allgegenwärtigkeit. Und Kings Protagonisten sind Teil der Natur, ihr und ihren Gesetzen unterworfen, können sich ihr nicht entziehen. Diesen Gesetzen folgt auch der Wahnsinn, der sich in Jack Torrance bildet; er ist feinfühlig und präzise geschildert, baut sich langsam auf. Ebenso langsam schleicht sich das Übernatürliche, der Horror sozusagen, in den Roman: Aus lapidaren, befremdlichen Vorfällen in einer anfangs ganz gewöhnlichen Alltagswelt baut King behutsam ein Gefühl der Bedrohung auf. Aus scheinbar völlig zusammenhang- und bedeutungslosen Vorfällen, die die Sphäre der Normalität, der Rationalität, zögernd ankratzen, entwickelt sich ein Mosaik des immanenten Schreckens, das erst bei seiner Vervollkommnung umkippt und die bis dahin vorherrschende Alltagswelt begräbt. Dieses Übersinnliche ist natürlich (auch) ein Sinnbild der nach außen dämonisierten Angst vor dem Alkohol, des Einflusses, den der Alkohol auf Torrance (und vielleicht auch auf King selbst) ausübt; schon früh führt King die Formel, die wesentlich zu seinem Erfolg beitrug, zur Meisterschaft: Er verleiht hier stärker denn je zuvor inneren Ängsten, Zwängen (also „Dämonen“) sichtbare Gestalt, womit sich der Schrecken des Lesers natürlich vervielfacht und sich die Identifikation des Lesers mit Kings Charakteren wesentlich verstärkt. King gelingt es, Torrance so beeindruckend zu schildern, indem er seine eigenen Probleme mit dem Alkohol verarbeitet und seine eigene Angst vermittelt, durch den Dämon Alkohol so zu werden wie seine Hauptfigur.
    Auch handwerklich ist Kings Roman gelungen. Sehr originell meistert der Autor das Problem, das Shining, also die unerklärliche Wahrnehmung vergangenen oder zukünftiger Ergebnisse, in die Gegenwart einfließen zu lassen. Dannys kleine Visionen und Vorahnungen werden genau wie Jack Torrances Erinnerungen und die Attacken des Wahnsinns bzw. des dämonischen Ichs auf seinen Verstand kursiv zwischen fortlaufende Satzteile eingesetzt

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