Wer fuerchtet sich vor Stephen King
verspürt, wenn Carrie sich dafür rächt, dass ihr bescheidener Traum von Anerkennung und Glück zunichtegemacht wird. Dies konnten besonders jüngere Leser nachempfinden, von denen viele King mittlerweile 40 Jahre als Leser treu geblieben sind. (Gibt es einen Leser, der nicht auch gewisse schlechte Erinnerungen an seine Schulzeit hat und mit einem gewissen süffisanten Genuss den Gedanken hegen würde, sich für das vermeintlich oder tatsächlich erlittene Unrecht zu rächen – nur, um sich dann entsetzt zu fragen, ob er zu solchen Taten fähig wäre, wenn er Fähigkeiten wie diese unscheinbare Schülerin hätte?) CARRIE legte das Fundament, und nun galt es, darauf ein solides Gebäude zu erreichten.
Das nächste Buch, BRENNEN MUSS SALEM! (1975), mutet auf den ersten Blick wesentlich konventioneller an als CARRIE. Es handelt sich ausgerechnet um einen Vampirroman , also ein Werk eines Genres, das seit Jahrzehnten als tot galt. (Stephenie Meyer war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal zwei Jahre alt.) Der Schriftsteller Ben Mears kehrt 1975 nach Jerusalem’s Lot zurück, einer Kleinstadt in Neuengland, in der er einige glückliche Kindheitsjahre verbracht hat. Er will ein Buch über ein angebliches Spukhaus schreiben, das allerdings ein Fremder, Richard Thockett Straker, gekauft hat, um dort einen Antiquitätenladen zu eröffnen.
Mears verliebt sich in die ortsansässige Susan Norton, doch sein Glück wird getrübt durch einige Tote, die plötzlich das wohlgeordnete Leben in der wohlgeordneten amerikanischen Kleinstadt durcheinanderbringen. Eins der ersten Opfer ist der zehnjährige Danny Glick, der im Krankenhaus an Anämie stirbt – und als Vampir aufersteht. Straker entpuppt sich als Strohmann Kurt Barlows, eines uralten Vampirs, der in besagtes Spukhaus eingezogen ist.
King gelingt es fabelhaft, immer wieder Indizien dafür anzuführen, dass ein Vampir sein Unwesen in Jerusalem’s Lot treibt. Schließlich dringen der elfjährige Mark Petrie und Susan in das Spukhaus ein, doch während Mark den Helfer Straker töten und dann fliehen kann, wird Susan von Barlow gebissen. (Mark bezieht seine Kenntnisse, wie man mit Vampiren umzugehen hat, übrigens aus ähnlichen Comics, wie King sie als Jugendlicher gelesen hat.) Mears muss seine Geliebte töten, um zumindest ihre Seele zu retten, und immer mehr Einwohner der Stadt werden zu Vampiren, bis schließlich nur noch Mark und Ben Sears übrig bleiben. Ihnen gelingt zwar, Barlow in letzter Sekunde im Schlaf zu töten, doch das Böse ist nicht besiegt: Jerusalem’s Lot wird von Vampiren beherrscht. Mears und Mark Petrie müssen fliehen und die Stadt dem Regiment des Grauens überlassen.
Auch in diesem Roman, der durch eine stringente Handlung beeindruckt und von der literarischen Kritik zwar vernachlässigt wurde, aber immerhin das Lob bekam, seinen literarischen Vorbildern in nichts nachzustehen und eine moderne, zeitgenössische Version des Sujets Vampirroman zu sein, griff er unterschwellig auf urtypische amerikanische Ängste zurück: die Angst vor einer Kleinstadt, deren Bewohner eine verschworene Gemeinschaft bilden, aber auch die Angst vor Entfremdung, vor dem Verlust anderer (geliebter) Menschen. Veräußerlicht wird diese Angst durch ein typisches Sujet des Bösen, den Vampir, der schleichend seine üble Saat verbreitet. Und natürlich stellt BRENNEN MUSS SALEM! auch – wer will es dem zweiten veröffentlichten Roman eines jungen Autors verübeln? – eine Hommage an seine Vorbilder dar (wie auch die thematisch zusammenhängende Kurzgeschichte „Briefe aus Jerusalem“ belegt, dort an H.P. Lovecraft, dessen Ratten in den Gemäuern sich genauso schleichend manifestieren, wie King diesen Roman geschickt aufgebaut hat).
Erfüllte King mit BRENNEN MUSS SALEM! alle Erwartungen, die das selbstgewählte Genre ihm auferlegte, betrieb er mit seinem dritten (veröffentlichten) Roman SHINING wieder eine gewisse Selbstanalyse und Aufarbeitung eigener Ängste. Nicht ohne Grund stellt Stephen King einen Auszug aus Edgar Allan Poes „Die Maske des Roten Todes“ seinem SHINING (1977) voran, denn Poe, einer der wenigen Klassiker der Horror-Literatur, hat sich nicht dem „Schrecken, der aus Deutschland kommt“ – gemeint ist die Gothic Novel , die Schauerromantik, also der äußere Horror –, sondern dem „aus der Seele“ gewidmet. So gesehen steht Kings Roman also in eindeutiger Tradition zu jenem inneren, dem „einzig wahren“ Horror, wie Poe sich ausdrückte,
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