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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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es nun kein Zurück mehr für ihn gab. Thorgeir warf die Zeitung auf den freien Nebensitz und holte aus seiner Aktentasche das Funktelefon hervor.
    »Hast du das in der Zeitung gelesen?« fragte er.
    »Wovon redest du überhaupt, Thorgeir?« entgegnete der Zaubererkönig verdutzt, wobei dessen Stimme am anderen Ende der Leitung nur leise und mit Störgeräuschen übertragen wurde.
    »Titelseite der FT.«
    »Bleib dran, sie liegt hier irgendwo.« Thorgeir konnte sich nur zu gut vorstellen, wie der Zaubererkönig unter dem allmorgendlichen Durcheinander auf seinem Schreibtisch nach der Zeitung stöberte.
    »Die Nachrichtenspalte, etwa am Anfang vom zweiten Drittel.«
    »Hast du mich etwa angerufen, um mir etwas über den Finanzminister zu erzählen?«
    »Vergiß den Finanzminister. Ein Stück darunter.«
    Wenn der Zaubererkönig verbal durchdrehte, tat er dies häufig in Altnordisch, einer Sprache, die sich zu diesem Zweck hervorragend eignete, wenn man es nicht eilig hatte. Thorgeir hörte sich alles eine Weile ungeduldig an, dann unterbrach er den Zaubererkönig.
    »Wer kümmert sich bei uns um Archäologie?«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Zwölfhundert Jahre lang ist der alte Knacker ohne ein elektronisches Notizbuch ausgekommen, sann Thorgeir nach. Kaum hat er eins, weiß niemand mehr, wo es ist. Hervorragend.
    »Du meinst, in Schottland?«
    »Vorzugsweise.«
    »Es gibt dort einen Professor Wood in Saint Andrews. Wozu brauchst du überhaupt einen Archäologen? Ich hol einfach jemanden aus der Kreditverwaltung.«
    Thorgeir runzelte die Stirn. »Nein, das tust du nicht. Ruf Professor Wood an. In der Zeitung steht, daß er für die Ausgrabungen in Rolfsness verantwortlich ist. Sag ihm, daß ich ihn treffen will.«
    »Ich werde trotzdem in die Kreditverwaltung gehen.«
    »Mach, was du willst. Übrigens, wohin fährt der Zug eigentlich, in dem ich gerade sitze? Ich hab’s nämlich vergessen.«
    »Nach Manchester.«
    »Danke.« Thorgeir schaltete das Telefon aus und warf einen Blick in den Zugfahrplan. Er war außer sich vor Erregung, denn sie waren jetzt mit dem Feind auf Tuchfühlung, ohne daß dieser davon wußte. Trotzdem war es ihm ein Rätsel, wie er bei seinen zahlreichen Besuchen dieser tristen Gegend so etwas Offensichtliches wie ein Bootsgrab hatte übersehen sollen. Dann fiel ihm ein, daß bereits jeder Zauberer ab Klasse III aufwärts in der Lage gewesen wäre, in einer solch bergigen und entlegenen Gegend irgendwelche Spuren menschlichen Daseins selbst vor dem scharfsichtigsten Beobachter zu verbergen. Und König Hrolfs Zauberer hatte stets zu den Topleuten gezählt. Schade, daß sie ihn 870 nicht abwerben konnten. Wie war noch mal sein Name? Es gab doch eine Eselsbrücke. Irgendwas mit Kotze und Kellogg’s.
    Im Zeitalter der Überschallgleiter kann man in London frühstücken und in New York zu Mittag essen (falls die Verdauung das mitmacht). Um aber zwischen dem zu- und abnehmenden Mond von Manchester nach Nordschottland zu gelangen, benötigt man nicht nur Hingabe und List, sondern auch ein bißchen Glück wie schon zu mittelalterlichen Zeiten. Als Thorgeir einen Reiseplan ausgearbeitet hatte, erinnerte die Aussicht aus dem Zugfenster verdächtig an ein Schlachtfeld aus dem ersten Weltkrieg, woran der erfahrene Reisende sofort erkennt, daß er gerade durch Stockport fährt. Thorgeir schloß den Aktenkoffer und lehnte sich in das weiche Polster zurück. Kotkel. Hrolfs Zauberer hieß Kotkel, und damals in den Achthundertsiebzigern genoß er um die Orkneyinseln herum einen ausgezeichneten Ruf. So hatte er drei Jahre hintereinander den Osca (Orkneyer Schwarzkünstler-Club Ansteckorden) für die beste Halluzination gewonnen, und was Runenzauber anging, war er stets einer der Besten gewesen.
    »Von dem kann ich mir noch ’ne Scheibe abschneiden«, stöhnte Thorgeir.
     
    In ganz Großbritannien standen die Telefone nicht mehr still, nachdem gerade der Schnelle Brüter an der Nordküste Schottlands abgeschaltet worden war. Eine Evakuierung des umliegenden Gebiets hatte man allerdings nicht für notwendig gehalten, da keine unmittelbare Gefahr bestand. Jemand hatte es irgendwie fertiggebracht, den kompletten Energieausstoß für mehr als eine halbe Stunde anzuzapfen. Sogar die Lichtstromversorgung im Atomkraftwerk selbst war ausgefallen.
    »Hat jemand ein Fünfzig-Pence-Stück für den Notstromautomaten?« fragte der Mann an den Kontrollinstrumenten fortwährend. Die Chefingenieure führten

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