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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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der Angst. Ich weiß, dass wir einen Fehler machen. Trotz der Hitze läuft es mir kalt über den Rücken.
    Wir gehen zu Mad Jack Lionel. Wir tun es wirklich. Wir sind im Begriff, uns heimlich auf das Grundstück eines Killers zu schleichen, des Eremiten von Corrigan, des verrückten Eigenbrötlers. Wir tun das nicht nur, um Pfirsichkerne zu klauen als Beweisstück für unseren Mut. Wir klopfen an seine Tür, um ihm unbeschreibliche Dinge vorzuwerfen.
    Was ist, wenn er es wirklich getan hat? Wenn er es tatsächlich war? Und was, wenn all die Gerüchte stimmen? Wenn er wirklich gewalttätig und unberechenbar ist? Es gibt solche Leute. Albert Fish. Gertrude Baniszewski. Eric Edgar Cooke. Sie sind echte Menschen, keine Legenden. Ich habe von ihnen gelesen. Wir kommen näher. Ich kann das nicht. Ich kann das unmöglich tun. Ich kann nicht vor seiner Tür auftauchen und ihn beschuldigen. Ich muss hier weg. Das ist ein Todesurteil. Nicht mal Jasper Jones kann Kugeln aufhalten. Ich will weg von hier, zurück zu Eliza Wishart.
    Aus reiner Nervosität beginne ich mit Jasper zu reden.
    «Was glaubst du, was er tun wird?»
    Jasper kratzt sich am Hinterkopf.
    «Ehrlich? Keine Ahnung. Ich hab nicht den blassesten Schimmer.»
    «Aber
warum
? Warum machen wir es dann auf die Art?»
    «Bloß weil man nicht weiß, wie eine Sache ausgeht, muss man es doch nicht lassen. Wenn die Welt sich das zur Regel machen würde, kämen wir nie voran. Es muss einfach sein. Wir müssen es tun.»
    Ich verscheuche handwedelnd einen Mückenschwarm, der auf Augenhöhe vor mir schwebt. Jasper steckt sich die Zigarette wieder in den Mund. Er klopft seine Taschen ab und macht ein verwirrtes Gesicht.
    «Du hast kein Feuerzeug, weißt du nicht mehr?»
    «Was? Oh, Mist. Stimmt. Hast du eins?»
    «Nein. Ich habe dir gesagt, dass ich keines habe.»
    Er steckt seinen Glimmstängel wieder weg. Mir kommt der Gedanke, dass Jasper vielleicht auch Angst hat, was meine Aufregung noch steigert. Und dann sein merkwürdiges Geständnis, dass er nicht weiß, was auf uns zukommt, dass er keine Ahnung hat, was dieser Abend bringen wird. Natürlich weiß er es nicht. Wie könnte er auch? Das ist mir klar. Doch Jasper ist normalerweise so zielstrebig, dass es mich ganz aus der Fassung bringt, ihn so unsicher zu sehen. Vielleicht kann ich ihn überreden kehrtzumachen. Vielleicht können wir die Sache noch einmal überdenken. Uns etwas einfallen lassen, was weniger hoffnungslos und gefährlich ist.
    Doch es ist zu spät. Wir sind da.
    Wir bleiben stehen. Es ist unglaublich still. Mad Jack Lionels Gatter ist geschlossen, und darunter befindet sich ein heimtückisch aussehender Viehrost. Ich schaue nicht nach unten.
    Das Grundstück dahinter ist heruntergekommen und verwildert. Auf der an den Fluss grenzenden Seite, dort, wo der Busch auf das Grundstück trifft, zwängt sich ein dicker Brombeerstrauch durch den verrosteten Drahtzaun. Auf der anderen Seite, wo das Cottage steht, entdecke ich eine Ziege, die an einen Weidenpfosten gebunden ist und auf der Seite liegt. Wäre das Gras rund um sie herum nicht so kurz gefressen, hätte ich sie für tot gehalten. Krähen jammern auf kahlen grauen Ästen. Sie sehen aus wie Scherenschnitte. Wie krähenförmige Löcher.
    Jasper klinkt das Gatter auf, das lautstark aufschwingt. Ich mache mir fast in die Hose.
    «Warte! Wir gehen auf der Vorderseite rein?»
    «Richtig», sagt Jasper laut, als lege er es darauf an, von Mad Jack gehört zu werden. Seine Unerschrockenheit ist wieder da. Jasper schreitet die Auffahrt entlang. Ich folge ihm, während er mir über die Schulter zuruft: «Ohne Umschweife, Charlie. Wir kommen schnurstracks zur Sache. Ich denke, das ist der richtige Weg.»
    Ich beobachte ihn beim Gehen: den geraden Rücken und die gereckte Brust. Und plötzlich kann ich sehen, wie gespielt seine Zuversicht ist. Sie ist nichts als Lärm, Ablenkung, heiße Luft. Sie ist ein Batmanumhang oder die Resthaarfrisur meines Vaters. In mir zerplatzt etwas. Trotzdem marschiere ich weiter hinter ihm her, verängstigt und resigniert, wie ein müder Infanterist.
    Die Ziege hebt lustlos den Kopf, meckert und lässt ihn wieder sinken. Ich nehme das als böses Omen. Weiter hinten springt ein Rudel Kängurus träge über eine Weide. Ich sehe eine stillstehende Windmühle, die mir noch nie aufgefallen ist. Der kurze Weg ist eindringlich und kommt mir vor wie ein Traum. Mein Herz ist eine Bombe. Es ist so ruhig, dass ich in der Ferne die Feuerwerksraketen

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