Wer hat Angst vor Jasper Jones?
zusammen und beugt sich vor. Sein Atem hat sich beschleunigt.
«Dann gibst du’s also zu? Du gibst zu, dass du’s warst? Du hast sie umgebracht?»
Die Stille ist zäh und angespannt. Ich schaue von Jack Lionel zu Jasper Jones, der angriffslustig durchs Zimmer starrt und die herabhängenden Hände immer wieder zu Fäusten ballt. Dann schaue ich zurück zu Jack, der die Ellbogen auf die Knie gestützt hat und seine trockenen Hände massiert. Ich glaube, er ringt um Worte. Er reibt sich die Nase und greift dann nach Tabak und Zigarettenpapier, die auf einem Sideboard liegen. Stirnrunzelnd widmet er sich seiner Aufgabe und streut das kupferfarbene Kraut auf den dünnen Papierstreifen zwischen seinen Fingern.
«Hör zu, Jasper. Ich weiß, dass du wütend und durcheinander bist. Das verstehe ich. Aber eigentlich hatte ich angenommen, dass du es schon längst in Erfahrung gebracht haben müsstest. Ich dachte, deshalb wärst du nie vorbeigekommen. Wer hat es dir schließlich erzählt? Dein Dad? Oder weißt du es schon die ganze Zeit?»
Ich fahre zurück und muss heftig schlucken, dabei stoße ich gegen die Kante des Klaviers. Ist es wirklich wahr, was sich hier gerade abspielt? Hat Jasper die ganze Zeit über recht gehabt? Meine Haut zieht sich zusammen, und meine Lunge scheint kollabieren zu wollen. Ich schiele zu dem Gewehr hinüber. Dann sehe ich, wie sich Jaspers Kiefermuskeln anspannen, und ich frage mich voller Sorge, was er tun wird. Schockiert und erschüttert blicke ich wieder zu Lionel hinüber. Das alles ergibt nicht den geringsten Sinn. Er wirkt so schmächtig, so zerbrechlich und langsam. Er kann unmöglich Laura Wishart überwältigt und erst recht keinen Baum bestiegen haben, um das Seil herabzulassen. Nicht in dem Zustand, in dem sein Bein ist. Das will ich Jasper sagen, und zwar schnell, bevor wir uns noch tiefer verstricken. Ich will ihn am Hemd zupfen. Will ihm zurufen, dass er sich irrt. Ich will aus dem Haus stürzen, zurück zu Eliza, zu meinem Vater, zur Polizei, und ihnen sagen, dass ein schrecklicher Irrtum passiert ist.
Aber warum sollte Lionel sich schuldig bekennen? Er ist nicht ganz richtig im Kopf. Er ist wahnsinnig. Das ist die einzige Erklärung.
Jasper versucht sich zu beruhigen und an seinen Plan zu halten.
«Niemand hat mir was gesagt.»
Lionel macht ein skeptisches Gesicht. Bedächtig leckt er über die Klebeseite seines Zigarettenpapiers. Er lässt sich Zeit.
«Niemand hat es dir gesagt? Aber irgendwie musst du es doch rausgefunden haben.»
«Wir haben dich gesehen», sagt Jasper mit Nachdruck. Die Lüge ist nur allzu offensichtlich. «Wir haben gesehen, wie du’s gemacht hast. Ich und Charlie. Wir haben’s beide gesehen.»
Das lässt Lionel innehalten. Er lehnt sich zurück, und seine Finger verharren. Er wirkt ehrlich verblüfft.
«Was meinst du damit, du hast es
gesehen
, Jasper? Hm? Was hast du gesehen?»
«Alles. Sogar wie du Tage danach das Wort in den Baum geritzt hast. Du brauchst es gar nicht erst abstreiten. Wir haben’s gesehen. Weil das nämlich mein Platz ist. Mein Stückchen Buschland. Und das weißt du. Du siehst mich seit Jahren dort hingehen. Und ich war da in der Nacht. Wir beide waren da und haben gesehen, wie du’s gemacht hast.»
«Von was, in aller Welt, redest du da, Jasper?» Lionel schüttelt den Kopf, bewahrt aber Ruhe. «Das kann nicht sein. Du warst knapp zwei Jahre alt, als es passiert ist. Verstehst du? Du kannst gar nichts gesehen haben. Niemand hat was gesehen.»
Die Wände kommen näher. Jasper macht ein beleidigtes Gesicht.
«Was redest
du
da? Es ist gerade erst passiert. Vor drei Wochen. Lüg mich nicht an. Du kommst da nicht raus. Ich hab dich gesehen. Ich kenne die Wahrheit. Hast du überhaupt eine Ahnung, was du angestellt hast, verdammt noch mal?» Drohend macht Jasper einen Schritt auf ihn zu.
Ich frage mich, ob ich einschreiten soll. Ich fühle mich wie ein Zuschauer in einem Theaterstück. Das Herz hämmert mir gegen die Rippen. Falls Mad Jack Lionel in irgendeiner Weise eingeschüchtert sein sollte, verbirgt er es gut. Ich wünschte, ich hätte seine Gelassenheit. Ich will fort aus diesem Haus, aber meine Beine rühren sich nicht. Das hier ist ein böser Traum.
Lionel hat die Zigarette fertig gedreht, klopft seine Taschen ab und sucht nach einem Feuerzeug. Als er es gefunden hat, zündet er sie an und sucht Jaspers Blick.
«Hör mal, Jasper. Ich verstehe dich. Ich verstehe, warum du … mir gegenüber so
feindselig
bist.
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