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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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dazu und feuert sie lachend an. Der Biergarten hat sich bis auf die Straße ausgedehnt, sogar Fässer haben sie hinausgerollt, um den Durst der Menge zu stillen.
    Jemand klopft mir auf die Schulter. Ich erstarre und fahre herum. Natürlich ist es Eliza Wishart, die mich anstrahlt. Ihre Grübchen sehen aus wie hübsche Knöpfe, und ihre Haut ist milchzart. Ich muss ziemlich entsetzt aussehen, denn ihr Gesichtsausdruck verändert sich schlagartig.
    «Charlie, was ist los?»
    «O nichts, gar nichts», stammele ich und schüttle den Kopf. Ich versuche zu lächeln, aber eigentlich will ich weglaufen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie duftet unglaublich.
    «Ich habe überall nach dir gesucht! Ich bin froh, dass du gekommen bist. Wir haben uns lange nicht gesehen.»
    Ich mache den Mund auf und wieder zu und trete einen kleinen Schritt zurück. Stirnrunzelnd sieht sie über meine Schulter.
    «Bist du allein hier? Wo ist Jeffrey?»
    «Er ist nicht mitgekommen. Ehrlich gesagt …», stoße ich mit erstickter Stimme hervor, «kann ich nicht bleiben. Hierbleiben, meine ich. Ich muss gehen. Ich bin auf dem Weg zu … Das kann ich nicht sagen. Es hat im Grunde nichts zu bedeuten. Es ist bloß … ich kann nicht …»
    Meine Hände flattern. Ich bin dabei, es richtig zu vergeigen.
    «Und kommst du wieder? Ich dachte, wir könnten uns heute Abend vielleicht sehen. Ich muss mit dir reden, Charlie. Es ist wichtig.» Eliza klingt gequält, ihre Augen glänzen sogar ein wenig, ein Anblick, der mich fast krank macht. Also tue ich es. Ich lege ihr die Hand auf die Schulter und drücke sie. Ich ergebe mich dem schleichenden Fluch und verspreche ihr, dass ich zurückkommen werde, dass es nicht lange dauern wird. Sie senkt den Kopf und nickt. Ich glaube, sie weiß, dass ich lüge. Auf jeden Fall habe ich sie enttäuscht, so viel ist klar. Wenn ich ihr doch nur alles erzählen könnte. Doch das geht nicht. Ich muss weg. Ich muss jeden Impuls unterdrücken und sie hier zurücklassen, für Jasper Jones, für Jack Lionel und diesen ganzen entsetzlichen Schlamassel.
    Um mich herum ist alles laut und wild. In meinem Schädel hämmert es. Das Tageslicht erlischt. Trotzdem reiße ich mich lange genug zusammen, um etwas erstaunlich Mutiges zu tun. Mitten in der Stadt, vor allen Leuten, beuge ich mich vor und küsse sie hastig auf den Mund. Ihre Lippen sind genauso weich, wie ich sie in Erinnerung habe. Hoffentlich habe ich ihr nicht mein Brillengestell ins Auge gedrückt. Doch als sie den Kopf hebt, wirkt sie ein wenig erleichtert und etwas weniger traurig. Ich versuche sie zu beruhigen.
    «Ich hab dich wirklich … sehr, sehr gern. Es tut mir leid», sage ich. Sie lächelt. Ich verspreche ihr, dass wir uns bald wiedersehen.
    «Wie bald?», fragt sie bang. Sie wirkt nervös. Wieder steigen ihr die Tränen in die Augen, und ich schmelze dahin. Ich frage mich, ob etwas passiert ist.
    «Bald», sage ich und trete zurück. Ich fühle mich wie Dreck. Als ich mich umwende, drückt Eliza meine Hand und zieht ganz leicht an ihr. Es ist mir gar nicht aufgefallen, dass wir uns an den Händen gehalten haben. Ich lasse sie stehen und gehe in Richtung Kreuzung davon, wobei ich mich zwingen muss, mich nicht umzusehen, weil ich Jasper Jones dann womöglich endgültig im Stich lassen würde.
    Ich treffe pünktlich ein. Jasper lehnt an einer Säule neben der Korktafel mit den Fahrplänen und wirft einen langen Schatten auf die sandigen Dielen der Bahnhofshalle. Er lächelt, und seine weißen Zähne leuchten in der Dämmerung.
    «Ich wusste, dass du kommst, Charlie. Ich wusste, du machst das Richtige.»
    Ich sage gar nichts und steige die Stufen hoch. Ich kann den Gedanken an Eliza nicht abschütteln.
    «Bist du bereit?», fragt er und klopft eine Zigarette aus der zerknüllten Packung. Er bietet mir eine an. Ich lehne ab. Heuchle nicht einmal Interesse.
    Jasper klopft seine Taschen ab.
    «Mist. Hast du Feuer?»
    Ich schaue ihn verständnislos an und schüttle dann den Kopf.
    «Scheiß drauf», murmelt er. «Wir müssen los, Charlie.»
    Wir machen uns auf den Weg, und plötzlich wird es bitterernst. Wortlos gehen wir nebeneinander her. Die Sterne kommen zum Vorschein. Kies knirscht unter unseren Füßen, als wir die Geräusche der Stadt hinter uns lassen. Es fühlt sich so ganz anders an als in jener Nacht, in der Jasper zum ersten Mal an mein Fenster gekommen ist. Da ist keine freudige Erregung, die die Anspannung verdrängen könnte, nur ein dunkles Band

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