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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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doch die Wahrheit ist, dass ich mich einfach nur betrogen fühle. Als hätte man mir etwas Kostbares aus der Brust gerissen und mich auf diese Weise in einen missgünstigen, kleinherzigen Bastard verwandelt, und ich komme nicht dagegen an. Nicht nur weil ich weiß, dass sein Buch genial sein wird. Sondern weil ich mir immer vorgestellt hatte, dass
ich
es sein würde, der mit einem Geheimnis und einem hart erarbeiteten Stapel Blätter leise in sein Arbeitszimmer tritt. Ich hatte immer gedacht, dass es
meine
Worte sein würden,
meine
kleinen Tintenkringel. Mein Moment der Vollendung. Mein Name unter dem Titel.
    Ich stütze die Ellbogen auf, kratze mich am Kopf und starre auf die Titelseite. Neugierde und Ablehnung reiben sich in meinem Innern wie Messer und Wetzstein. Ich weiß nicht, was ich erwarten soll. Mein Herz klopft wie wild.
    Ich schnappe mir ein Blatt. Drehe es um. Die erste Zeile.
    Jasper Jones ist an mein Fenster gekommen.
    «Charlie!»
    Ich fahre zusammen und wirbele herum. Aus irgendeinem Grund habe ich das Bedürfnis, das Manuskript mit den Armen abzuschirmen.
    «Charlie!»
, zischt er noch einmal.
    «Was machst du denn hier? Es ist noch hell!» Ich klettere auf mein Bett und klappe die Lamellen hoch. Jasper sieht unruhig aus. Es ist merkwürdig, ihn zu sehen, während die Sonne noch am Himmel steht, auch wenn sie schnell versinkt.
    «Heute Abend, Charlie. Heute machen wir es. Bist du bereit?»
    «Heute Abend machen wir was? Was meinst du mit
bereit
? Bereit für
was

    «Für Mad Jack. Du und ich, wir gehen zu ihm. Jetzt gleich. Bist du so weit?»
    «
Was?
Warte. Wir sollen zu seinem Haus gehen? Und warum jetzt gleich? Warum brauchst du mich dafür? Ich kann dort nicht hingehen. Das ist Mad Jack Lionel. Er wird uns erschießen, bevor wir das verdammte Gartentor passiert haben. Das ist doch Unsinn.»
    «Ich hab’s dir doch erklärt. Wir gehen hin, um es aus ihm rauszukitzeln. Wir bringen ihn dazu, einzugestehen, was er getan hat.»
    «Aber
wie
? Und wie sollen wir es überhaupt hinkriegen, mit ihm zu reden?»
    «Der Mann ruft meinen Namen, seit ich laufen kann, Charlie. Heute Abend rufe ich
seinen

    Ich seufze mit geschlossenen Augen.
    «Also gut. Hör zu. Selbst wenn wir reinkommen, ohne über den Haufen geschossen zu werden, wird er nicht einfach die Hände hochheben und zugeben, dass er es gewesen ist. Das gibt es nur in Büchern und Filmen. So etwas passiert nicht. Wir können ihn nicht eigenhändig ins Gefängnis schaffen.»
    Jasper schüttelt hastig den Kopf.
    «Du musst gar nichts sagen, Charlie. Bloß da sein. Das Reden übernehme ich. Ich bringe ihn so weit. Ich werde ihm auf den Kopf zusagen, dass er es war. Dass wir wissen, wie und wo. Und dass wir da waren, als er es getan hat, uns versteckt und alles mit angesehen haben. Ich werd ihm sogar sagen, wir hätten gesehen, wie er das Wort in den Baum geritzt hat, genau wie bei der verrosteten Karre im Garten. Und dann sag ich ihm, dass wir zur Polizei gehen, wenn er sich nicht freiwillig stellt. Wir treiben ihn in die Enge, Charlie. Er
muss
auspacken.»
    «Das glaubt er dir nie», wende ich ein.
    «Gibt nur einen Weg, das rauszufinden.»
    «Und warum brauchst du mich dafür, wenn du das ganze Reden übernimmst?»
    «Weil er mir wahrscheinlich eher glaubt, wenn ich ihm sage, dass wir ihn beide gesehen haben. Außerdem brauch ich dich als Zeugen, Charlie. Du musst meine Geschichte bestätigen. Wenn er auspackt und ich zum Sergeant gehe, steht mein Wort gegen Lionels. Dann hab ich keine Chance. Wenn du auch dabei bist,
müssen
sie mir glauben. Aber wir müssen jetzt gleich gehen.»
    «Warum? Warum jetzt gleich?» Ich verliere die Fassung, meine Stimme klettert eine Tonlage höher. Ich kann nicht mehr klar denken.
    Jasper erschlägt eine Stechmücke auf seinem Unterarm und wischt sie an der Hose ab.
    «Weil die ganze Stadt wegen der Neujahrsfeier auf dem Weg zur Miners’ Hall ist. Heute Abend gibt es keine Ausgangssperre, also wird uns auch keiner Fragen stellen, wenn wir irgendwo unterwegs sind. Trotzdem gehen wir am besten getrennt, solange es hell ist. Du sagst deinen Eltern, dass du runtergehst, um dir das Feuerwerk anzusehen, und nimmst den normalen Weg in die Stadt. Ich treff dich am Bahnhof. Niemand wird Verdacht schöpfen. Von dort gehen wir dann zu Lionels Haus. Einverstanden?»
    Ich kneife mir in die Nase.
    «Das wird nicht funktionieren, Jasper! Es ist
lächerlich
. Wir wissen doch nicht mal, dass er es war.»
    Kopfschüttelnd

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