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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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umgebracht. Ich habe alles falsch gemacht. Mad Jack Lionel ist kein Verbrecher. Wahrscheinlich ist er nicht einmal verrückt. Er ist nur ein trauriger alter Mann, einsam und arm.
    «Warum, Jasper? Warum sagst du so was?», fragt Lionel mit erstickter Stimme, und seine wässrigen roten Augen glänzen. Ich habe Angst, er könnte anfangen zu weinen. «Ist es wegen dem, was mit deiner Mutter passiert ist? Ist das der Grund?»
    Dieses Zimmer ist wie vernebelt. Ich finde mich überhaupt nicht mehr zurecht. Am liebsten würde ich mich zu einer Kugel zusammenrollen.
    Jasper macht ganz schmale Augen und schüttelt den Kopf. Er deutet mit dem Zeigefinger auf Lionel.
    «Ich hab gesagt, wenn du meine Mutter noch einmal erwähnst, vergess ich mich. Mir ist scheißegal, wie alt du bist. Warum redest du ständig von ihr? Sie ist
tot
, du Dreckskerl. Weißt du das? Und du hast kein Recht, dich über meine Familie auszulassen.»
    Das lässt Jack Lionel abermals in seinem Sessel zusammenfahren. Er hält kurz inne und schüttelt dann den Kopf. Ich sehe, wie die Asche seiner Zigarette immer länger wird und ihm auf den Fuß zu fallen droht.
    «O Gott. O guter Gott!», stammelt er kopfschüttelnd vor sich hin, ohne Jasper aus den Augen zu lassen. Er wirkt fassungslos. «Du weißt es nicht. Du hast keine Ahnung, wer ich bin, nicht wahr? Keinen
verdammten
Schimmer.»
    «Was? Klar weiß ich, wer du bist. Du bist Jack Lionel.»
    «Aber was weißt du noch? Über uns? Über dich und mich.»
    «Wovon redest du? Was meinst du damit?»
    Wieder hustet Lionel. Dann dreht er sich um und drückt den Zigarettenstummel in einem Aschenbecher auf dem Sideboard aus. Er wirkt müde und abgekämpft und schluckt schwer.
    «Was glaubst du wohl, woher ich deinen Namen weiß, Jasper? Warum rede ich wohl so mit dir?»
    «Das hab ich mich auch schon gefragt. Und warum du jede Nacht hinter mir herbrüllst, wenn ich hier vorbeigehe.»
    «Du hast wirklich keine Ahnung? Sag jetzt die Wahrheit.»
    Jasper schüttelt den Kopf.
    Lionel murmelt etwas vor sich hin, dann stemmt er sich langsam hoch. Ich presse die Fersen gegen die Sockelleiste und lasse ihn nicht aus den Augen, als er quer durch das Zimmer humpelt. Ich bin auf alles gefasst. Doch er winkt nur, fast so, als wolle er Jasper Jones verscheuchen.
    «Dreh dich um», sagt er.
    «Was? Nein.» Jasper weicht zurück. «Wozu?»
    «Dreh dich einfach um.» Lionel steht jetzt neben ihm und zeigt auf etwas, das auf dem staubigen Klavier steht. Vorsichtig tut Jasper, was ihm gesagt wurde. Ich schleiche um das Klavier, um auch etwas sehen zu können. Lionel deutet auf drei gerahmte Fotografien. Mit ausdrucksloser Miene zuckt Jasper die Achseln. Ob er jemanden darauf erkenne, will Lionel von ihm wissen. Ich sehe, wie die beiden nebeneinanderstehen und dann die Gestalten auf den Fotos, und begreife schneller als Jasper. Die Puzzleteile fügen sich zusammen, und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie Jasper reagieren wird. Doch der schaut die Fotos nicht einmal richtig an. Wieder zuckt er mit den Schultern und zeigt keinerlei Interesse. Er sieht es nicht. Aber da streckt Lionel einen knotigen Finger aus und sagt: «Das da ist dein Vater. Und das deine Mutter.» Dann zeigt er auf den Säugling zwischen den beiden und sagt: «Und das bist du.» Jasper lacht höhnisch, doch ich kann sehen, dass er verunsichert ist, denn er verzieht das Gesicht und erklärt Lionel, er könne ihn mal kreuzweise. Das sei gelogen. Immer noch sehr geduldig bittet Lionel ihn, sich das Bild genauer anzusehen und sich zu vergewissern, ob es nicht doch sein alter Herr ist. Jasper schlägt die Augen nieder und schweigt einen Moment. Dann schüttelt er wild den Kopf, wie ein Hund, der sein Halsband loswerden will. Er tritt einen Schritt zurück. Sagt, das sei Schwachsinn. Woher er die Bilder habe, will er von Lionel wissen. Doch der zeigt nur stumm auf ein anderes Foto. Das kleinste. Darauf hält ein älterer Mann das Baby auf dem Arm; und dann erklärt Lionel Jasper, was ich bereits begriffen habe. Dieser Mann ist er selbst. Jack Lionel ist der Vater seines Vaters. Jaspers Großvater. Und während Jasper die Augenbrauen zusammenzieht und die Kiefermuskeln anspannt, bittet Lionel ihn noch einmal, sich mit ihm zusammenzusetzen, wie er es schon seit Jahren hat tun wollen. Weil er mit ihm über seine Mutter reden muss. Jasper ist wie vor den Kopf geschlagen. Es tut weh, ihn so zu sehen. Und er tut mir leid. Leise und verunsichert sagt Jasper, dass es nichts

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