Wer hat Angst vor Jasper Jones?
Respektsperson, wie ein einflussreicher, tonangebender Mann. Jeffrey meint, er sehe aus wie ein Kommunist.
Von irgendwelchen Verlagen hat er noch nichts gehört, aber er versichert mir, dass diese Dinge ihre Zeit bräuchten. Natürlich hatte er eine Kopie seines Werks in der Schreibtischschublade. Also vernichtete meine Mutter nicht mehr als meine Chance, den Roman sofort zu lesen. Vor zwei Tagen habe ich die Lektüre von
Pattersons Fluch
beendet. Ich ließ mir Zeit damit. Dachte gründlich darüber nach, nahm es mir in kleinen Portionen vor, kaute sie durch und kostete den Geschmack aus.
Es ist so klug, so traurig und so schön, dass ich nicht einmal neidisch bin. Ich habe ein warmes Gefühl im Bauch, das mir sagt, dass irgendjemand Wichtiges an dieses Buch glauben wird. Dass mir der Namen meines Vaters schon bald stolz und stark von einem Buchrücken im Regal des Buchladens entgegenleuchten wird.
Eliza Wishart hat der Polizei nichts erzählt. Kein einziges Wort. Obwohl ihnen ebenso klar war wie mir, dass sie ein wichtiges Puzzlestück in der Hand hielt. Irgendetwas wusste sie. Also haben sie sie stundenlang ausgequetscht. Aber sie saß einfach auf der Wache, fingerte an ihrer Haarspange herum und presste achselzuckend die Lippen zusammen. Sie blieb standhaft, als sie sie mit Süßigkeiten und Limonade lockten und ihr gut zuredeten, und noch standhafter, als sie ihr drohten, ihr ins Ohr zischten und vorwarfen, sie hintergehe die Menschen, die sie liebe.
Als sie nach Hause kam, gab es keine Strafe. Sie fragten nicht einmal, wo sie gewesen war.
Erst als ihr Vater zum Sovereign gegangen war, machte Eliza den Mund auf. Sie kochte eine Kanne Tee und setzte ihre zerbrechliche Mutter auf einen Stuhl. In ihrem Zimmer hatte sie eine Kopie von Lauras Brief angefertigt, die sie nun über den Tisch schob. Und sie erklärte ihrer Mutter, dass Lauras Schwierigkeiten keinesfalls eine Lüge, sondern die schreckliche Wahrheit gewesen waren. Sie sei Laura in jener Nacht gefolgt, berichtete sie, sagte aber nicht, wohin. Und sie habe sich an diesem geheimen Ort in ein Versteck gekauert und ihre Schwester beobachtet. Sie wisse, wo Laura jetzt sei, und sie komme nie mehr zurück, weil sie sich an jenem Ort das Leben genommen habe. Zwei Leben. Auch jenes, das sich wie eine Klette in ihr eingenistet hatte. Ihre Mutter beugte sich vor, fasste sich an den Hinterkopf und weinte still vor sich hin, während die Sonne ausblutete und ihr Tee kalt wurde. Eliza bot ihr weder Trost noch Liebe, denn diese Frau hatte ihre älteste Tochter verraten. Sie hatte der Wahrheit den Rücken zugewandt, und jetzt war Laura fort.
Doch Eliza versprach ihrer Mutter eines: Falls sie die Sache öffentlich machen, die Wahrheit erzählen und dafür sorgen wollte, dass die Dinge in Ordnung kamen, würde Eliza sie zu dem Ort führen, an dem Laura lag. Sie schwor, bis zu diesem Tag darüber zu schweigen.
Bis jetzt hat keiner von ihnen geredet. Das Geheimnis ruht nach wie vor bei den Wisharts, versiegelt in einem Einmachglas und weggesperrt in einen staubigen Schrank. Und dort wird es auch bleiben, glaubt Eliza. Einmal habe ich sie gefragt, ob sie es gerne sähe, wenn ihr Vater bestraft würde. Daraufhin kniff sie die Augen zusammen und versicherte mir sanft: das werde er schon noch. Mehr hat sie dazu nicht gesagt.
Ich habe mich oft mit Eliza Wishart getroffen. In den letzten beiden Wochen hat sie sich ein wenig zurückgezogen, doch das ändert sich gerade. Sie bekommt allmählich ein wenig Fleisch auf die Rippen. Genau wie ich.
Sie und ich gehen nachts auf die Lichtung, so wie vor uns Jasper und Laura. Ich habe einen Weg zu Elizas Fenster ausgetüftelt, bei dem ich wenig Gefahr laufe, erwischt zu werden. Es ist fast so gut wie ein Tunnel quer durch Corrigan bis zu ihrer Straße. Ich klopfe an ihre Fensterscheibe, wie ich es mir immer erträumt habe, und sie zieht den Vorhang zurück und freut sich, mich zu sehen. Sogar Sonnenblumen hat sie auf ihre Fensterbank gestellt. Dann gehen wir Hand in Hand zu dieser kleinen Insel im Busch, und es fühlt sich längst nicht mehr so an, als würden wir sie unerlaubt betreten. Manchmal nimmt Eliza Blumen mit und sitzt im Schneidersitz am Rand des Wassers, und ich stelle mich ein wenig abseits, während sie vor sich hin flüstert. Manchmal bringt sie ihrer Schwester Geschenke und lässt sie auf den Grund sinken wie in einen Wunschbrunnen. Manchmal wird sie ganz still und verschlossen, und dann ist es am besten, wenn ich sie
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