Wer hat Angst vor Jasper Jones?
Sharon Noonan zu schwängern. Also ist er, in Ermangelung anderer Alternativen, zurückgekehrt, um die Schulhallen weiterhin heimzusuchen.
Das Wiederauftauchen von Warwick Trent ist auch der Grund, warum ich in diesem Moment mit einer Horde Klassenkameraden im Schlepptau auf dem Weg zu Jack Lionels Anwesen bin. Die Glocke hat den Schulschluss verkündet. Es ist heiß und trocken. Und ich habe mit Warwick Trent eine Wette abgeschlossen.
Wenn ich noch heute Nachmittag, am helllichten Tag, zu Mad Jack Lionels Pfirsichbaum gehe und mehr als fünf Pfirsiche stehle, gewährt er mir für ein ganzes Schuljahr Immunität. Das bedeutet, keine Prügel oder ausgesuchte Quälereien, ja nicht einmal mehr Spötteleien. Ganz egal, wie tief ich in meinem Vokabelschatz grabe, wie sehr ich ihn reize oder wie verlockend es sein mag, meine Mutter zu erwähnen (denn inzwischen wissen alle Bescheid), ich werde Immunität genießen. Außerdem darf Jeffrey Lu die ganze restliche Cricketsaison mitspielen, und das nicht nur als Reservespieler. Er darf als Erster schlagen und mindestens bei einer Veranstaltung als Bowler antreten.
Trent ist überzeugt, dass ich es auf keinen Fall tun werde. Er glaubt, ich mache mir vor Angst in die Hosen, sobald ich dort ankomme, und setze niemals einen Fuß über den Viehrost beim Gatter, wo schon so viele ihr Glück versucht haben und gescheitert sind.
Für den Fall meines Scheiterns habe ich mich mit einer unmenschlichen Strafe einverstanden erklärt, weil ich mir sicher bin, halten zu können, was ich versprochen habe. Sollte ich aus irgendeinem Grund mit weniger als fünf Pfirsichen zurückkehren, ist mein Schicksal besiegelt. Ich habe mich verpflichtet, ein Jahr lang Warwicks persönlicher Diener zu sein. Daneben haben seine Bande und er mir versprochen, mich über Nacht splitternackt an die Eingangstür der Miners’ Hall zu ketten, allerdings nicht ohne mich vorher mit Eiern, Mehl, Zucker und Wasser zu traktieren. Kurz gesagt drohen mir einige Stunden Schmerz, Scham und die lebenslange Demütigung durch jene, die sich für alle Zeiten daran erinnern werden.
Wir haben eine Geschäft abgeschlossen und vor bedächtig nickenden Zeugen per Handschlag besiegelt.
Es müssen zwei Dutzend Kinder sein, die sich nach dem Läuten zusammenrotten und mir auf dem Weg zu Mad Jack Lionel hinterhertrotten. Ich bin ziemlich sicher, dass sie angetanzt sind, um sich an meinem Misserfolg zu weiden, doch hier und da schimmert auch die versteckte Hoffnung der Schwachen durch, ich könnte derjenige sein, der Warwick Trent in die Pfanne haut.
Mit Jeffrey Lu an meiner Seite marschiere ich seelenruhig über das Cricketfeld. Im Augenblick fühle ich mich wie Clark Kent bei einem Schusswechsel. Ich habe nichts zu verlieren. Ich bin unbesiegbar, denn ich hüte ein mächtiges Geheimnis. Endlich halte ich die Asse in der Hand.
Eliza Wishart schiebt sich durch die Menge. Am liebsten würde ich mich zu ihr hinunterbeugen und sie küssen, doch vor allen Leuten geht das nicht. Sie zieht mich beiseite.
«Dann machst du es wirklich?»
«Ja, sieht so aus.» Ich zucke lächelnd die Achseln.
Sie lächelt nicht zurück und wirkt blass und reserviert. Ich berühre ihre Hand. Sie bleibt stehen.
«Kommst du mit?», frage ich.
«Nein, ich kann nicht. Ich habe etwas zu erledigen.»
«Wo?»
«Irgendwo.» Sie sieht mir über die Schulter.
«Sehen wir uns heute Abend?»
Sie wendet mir den Blick zu.
«Ich weiß nicht. Vielleicht. Vielleicht siehst du mich auch schon vorher.»
«Was? Wo?»
«Du wirst schon sehen.»
Stirnrunzelnd fasse ich sie am Arm.
«Was werde ich schon sehen?»
Sie reißt sich los.
«Ich muss gehen, Charlie. Bis bald.»
Sie geht allein davon und lässt ihre beiden Freunde zurück. Zu schnell und zu sicher, als dass ich sie hätte festhalten oder zurückrufen können. Irgendetwas stimmt nicht. Ich will ihr folgen, doch ich bin in dieser Prozession gefangen.
Jeffrey schlängelt sich neben mich. Er seufzt.
«Weiber», sagte er kopfschüttelnd. «Die Hölle selbst kann nicht wüten wie eine verdrehte Frau. Sie werden das nie verstehen, Chuck.»
«Ich glaube eher,
ich
werde das nie verstehen.»
«Da kann ich dir nur beipflichten, du bist eben ein Idiot. Aber selbst die klügsten Köpfe der Welt haben keine Ahnung, was Frauen eigentlich wollen, also bist du in guter Gesellschaft.»
«Ich weiß nicht, meine Gesellschaft kommt mir ziemlich lausig vor.»
«Also, wie sieht dein Plan aus?», fragt Jeffrey gespannt,
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