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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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Handtuch, dann husche ich zum Badezimmer und hoffe, unterwegs niemandem über den Weg zu laufen. Zum Glück ist die Luft rein. Ich knalle die Tür zu und werfe das Handtuch weg. Meine Absichten sind jämmerlich, aber die Erleichterung zwingt mir ein dünnes Lächeln ins Gesicht.
    Ich sitze auf dem Rand unserer giftgrünen Badewanne. Nackt und düster lasse ich Wasser einlaufen und zucke zusammen, als mir die ersten Spritzer die Finger verbrühen. Das Wasser steigt und verbrennt mir die Füße. Ich hebe sie hoch. Himmel noch mal. Hat jemand unter unserem Wassertank ein Feuer angezündet? Am liebsten würde ich meine Eltern dafür anbrüllen. Endlich kühlt es sich zu einem lauwarmen Strahl ab. Mehr kann ich nicht erwarten. Ich spritze mir Wasser ins Gesicht, schrubbe mir den Hals und reibe mich gründlich mit Sandseife ab. Es tut gut, über meine Haut zu kratzen und zu schaben. Es macht mir nichts aus, dass es ein bisschen weh tut.
    Ich sitze da und lasse den Kopf hängen. Tropfe vor mich hin. Schäme mich, dass ich kein bisschen Fleisch auf den Rippen habe. Ich bestehe nur aus Haut und Knochen. Es ist der schlaksige Körper eines Kindes. Weder Hügel noch Kurven, Falten oder Narben. Nicht die geringste Ähnlichkeit mit Jasper Jones.
    Ich lasse mir Zeit. Hier drinnen ist es kühler. Und um ehrlich zu sein, ist mir ein bisschen danach zu weinen. Ich bin immer noch müde. Und wütend und traurig. Ungefähr so, wie ich mich fühle, wenn ich am Rand einer Erkältung stehe. Traurig und merkwürdig. Mein Bauch ist empfindlich. Als habe man mich geschüttelt, geschlagen und überstreckt. Am liebsten würde ich den Kopf in die Hände nehmen, aber das tue ich nicht. Und das werde ich auch nicht, weil ich dann losplärre.
    In meinem Kopf wirbelt alles durcheinander.
    Was ist, wenn es wirklich Jasper Jones war? Wenn er Laura Wishart umgebracht hat? Wenn er es war und ich den Mund halte? Kann ich dafür ins Gefängnis kommen? Kann es wirklich sein, dass er das Mädchen auf dieser stillen Lichtung erhängt hat? Solange ich mit ihm zusammen war, erschien mir diese Möglichkeit unvorstellbar, aber wie gut kenne ich ihn denn wirklich? Theoretisch hätte er mir die ganze Zeit über Schwachsinn auftischen können. Er hätte es von Anfang an gewesen sein können. Ich prokele mit einem Fingerknöchel in meinem Ohr.
    Aber warum, um alles in der Welt, würde er mich aussuchen? Das ergibt keinen Sinn. Niemand begeht einen Mord und zieht dann los, um sich einen Zeugen zu suchen. Das ist einfach nur dumm. Also kann er es nicht gewesen sein. Mit Sicherheit nicht.
    Abgesehen davon vertraue ich ihm. Das tue ich wirklich. Nicht nur weil ich es muss. Vermutlich ist er der ehrlichste Mensch in der ganzen Stadt. Er hat keinen Grund zu lügen. Er hat keinen Ruf zu verlieren. Letzte Nacht hatte ich zu keiner Zeit den Eindruck, als wolle er mich hinters Licht führen. So wie er redet, hat man das Gefühl, dass er zu Hinterlist gar nicht fähig ist. Er sagt Dinge mit so einer Überzeugung, dass man sich absolut sicher ist, er meint sie ernst. Man spürt es einfach.
    Die meisten Leute, denen man begegnet, verschleiern und übertünchen beim Reden ihre wahren Absichten. Manchmal weiß man, dass sie lügen, noch bevor sie den Mund aufmachen. Und es scheint, als würden sie mit zunehmendem Alter immer unverschämter und verzweifelter; sie lügen selbst dann, wenn es überhaupt keine Rolle spielt. Wie mein Vater mit seinen letzten, über die Glatze gekämmten Strähnen oder meine Mum mit ihrem rotbraun gefärbten Haar. Oder wenn mein Vater darauf beharrt, dass es ihm gefällt, den Kindern von Corrigan die Liebe zur Literatur nahezubringen oder meine Mutter ihren Schwestern in der Stadt erzählt, dass sie es hier unten wunderbar findet, und nein, es ist überhaupt nicht zu heiß, sondern ganz entzückend und eine wirklich nette Gemeinde. Ich weiß nicht. Vielleicht haben sie sich einfach so sehr daran gewöhnt, dass es ihnen gar nicht mehr auffällt. Vielleicht ist es wie ein schleichender Fluch, und je öfter man es macht, desto leichter fällt es einem. Das Erstaunliche daran ist, dass sie glauben, alle an der Nase herumzuführen.
    Ja. Ich glaube, dass Jasper Jones in einer Stadt voller Lügner die Wahrheit sagt. Das spüre ich. Die Lügen, die ihm vorauseilen, das nebulöse Geflunker, das mich umgibt, sind die Ursache der nagenden Zweifel in meinem Hinterkopf. Wenn Jeffrey Lu mich letzte Nacht aufgeweckt und in aller Stille zu dieser grauenhafte Szene

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