Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
Vom Netzwerk:
Chuck! Dem ist das egal!»
    Doch sie schimpft weiter wütend vor sich hin, als sie davongeht. Jeffrey grinst. Er nimmt das Tablett und verbeugt sich.
    «Bitte, o heiliger Ombuuuuudsmann, ich beschwöre Euch, nehmt als Erster von unseren feinen Köstlichkeiten.»
    «Schon besser», sage ich.
    Ich nehme etwas Rundes, Orangenartiges, was köstlich schmeckt.
    «Was ist das? Schmeckt himmlisch.»
    Jeffrey blinzelt. «Das ist Bang Chow Pow.»
    «Das ist gelogen.»
    «Falsch. Das ist eine
Tatsache
. Sei nicht so ignorant.»
    «Du bist ein Idiot.»
    «Und du ein Kommunist.»
    Vor lauter Gestikulieren verschüttet Jeffrey sein Getränk und wischt es mit einem Sofakissen auf.
    «Pass auf: Würdest du lieber an Hitze oder an Kälte sterben?», fragt er.
    Ich lehne mich zurück und lege die Füße hoch.
    «Meinst du auf der Stelle verbrennen oder erfrieren oder durch Dauereinwirkung?»
    Jeffrey reibt sich das Kinn. «Durch Dauereinwirkung.»
    «Keine Ahnung. Weder noch.»
    «Aber du musst dich entscheiden.»
    «Warum?»
    «Chuck! Bist du zurückgeblieben, oder was? Es ist rein hypothetisch.»
    «Aber warum soll ich so eine Entscheidung überhaupt treffen?»
    «Nehmen wir einfach an, du müsstest es.»
    «Aber warum?»
    «Weil sie dir eine hypothetische Pistole an den Kopf halten.»
    «Wen meinst du mit
sie

    Jeffrey lächelt. Er thront rastlos auf der Kante des Klavierhockers.
    «Weiß nicht. Die Russen.»
    «Warum wollen mich die Russen denn umbringen?»
    «Weil sie böse und hypothetisch sind! Und du ein Spion bist. Du hast ihre Geheimnisse verkauft.»
    «An wen?»
    «An die
Krrrauts

    «Verstehe. Dann würde ich mich dafür entscheiden, dass man mir hypothetisch in den Kopf schießt. Ich meine, wenn ich sowieso sterben muss, warum hypothetisch leiden?»
    «Erstens bist du ein Idiot. Und zweitens machst du die Sache viel zu kompliziert.» Jeffrey überlegt einen Augenblick.
    «Also schön. Sie haben auch deine Eltern.»
    «Das macht mir die Entscheidung noch leichter, Jeffrey.»
    Wir lachen beide. Ich esse noch eine Orangenkugel. Jeffrey schnippt mit den Fingern und schaut mich mit einem verschlagenen Lächeln an.
    «Schon gut, schon gut. Was ist, wenn sie, sagen wir, auch Eliza Wishart geschnappt haben? Na, Chuck? Was machst du dann? Du kannst sie retten, wenn du dich für das eine oder das andere entscheidest.»
    Die Erwähnung von Elizas Namen rüttelt mich auf. Ich merke, wie sehr ich Laura verdrängt habe, seit ich hier angekommen bin. Ich lege die Süßigkeit weg. Mir ist kotzübel.
    Ich sage Jeffrey, dass er mich am Arsch lecken kann. Und natürlich entfährt mir das genau in dem Moment, als Mrs. Lu mit Nachschub hereinkommt. Ich erstarre mit weit aufgerissenen Augen und warte darauf, dass sie mir eine Standpauke hält, doch sie tut, als hätte sie nichts gehört. Jeffrey lacht sich insgeheim tot über mich.
    «Hier, Chally», sagt Mrs. Lu fröhlich und füllt mein Glas auf. Sie entschwindet genauso rasch, wie sie gekommen ist. Ich schaue ihr nach und frage mich, wie ich es geschafft habe, dem sicheren Tod zu entkommen.
    «Schon gut, sie versteht keine Flüche», erklärt Jeffrey, nachdem er sich erholt hat. «Du hättest dein Gesicht sehen sollen!»
    «Ach, wirklich?»
    «Ja. Hör zu.» Jeffrey ruft in die Küche: «Ma! Chuck liebt diese Scheißorangenkugeln!
Er ist richtig scharf auf dicke Kugeln!
»
    Es folgt eine gespannte Stille, während wir beide auf eine Antwort warten.
    «Schön! Das ist gut! Danke, Chally!», ruft sie durch den Flur.
    Wir müssen uns in die Fäuste beißen, um nicht loszukreischen.
    Ich lehne mich zurück. Doch dann erinnere ich mich plötzlich wieder, und die Übelkeit fährt mir wie eine Faust in den Bauch. Ich habe eine Achterbahn im Magen. Wenn ich nur Jeffrey alles erzählen könnte. Das würde ich zu gern tun. Ich frage mich, warum es so schmerzhaft ist, ein Geheimnis für sich behalten zu müssen. Ich meine, es Jeffrey zu erzählen würde nichts verändern und nichts rückgängig machen. Ich würde ihn lediglich informieren. Dadurch wird weder das arme Mädchen aus den Tiefen des Stausees geholt, noch haucht es ihr neues Leben ein. Also warum habe ich dann das Bedürfnis, alles hinauszuposaunen? Geht es lediglich darum, es ihm zu erzählen? Die Schrauben zu lockern und diesen schrecklichen Schlamassel herauszulassen? Vielleicht wird die Last ein bisschen weniger, wenn ich einen Teil davon herausfließen lasse. Nach dieser Logik würde es vielleicht erträglich werden, wenn ich

Weitere Kostenlose Bücher