Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
Vom Netzwerk:
als der Hinweg. Vielleicht liegt es daran, dass ich weiß, wo wir hingehen, oder daran, dass ich Jasper vor Eile fast in die Hacken trete.
    Seine Schultern sind leicht nach vorn gebeugt. Die aufrechte Haltung und Zielstrebigkeit von vorher sind verschwunden. Er schüttelt seine Zigarettenpackung. Sie ist leer, also schiebt er die Hände in die Hosentaschen. Wir gehen schweigend und schnell. Über uns regen sich die Flötenvögel und trällern ihr Morgenlied. Die Sonne geht auf wie ein Vorbote des Unheils. Merkwürdigerweise werde ich immer ängstlicher und angespannter, je besser wir sehen und uns zurechtfinden. Wenigstens ist die Nacht vorüber. Das ist immerhin ein Trost. Ich muss niemanden mehr begraben. Und ich kann bald schlafen. Vielleicht. Mindestens noch zwei Stunden.
    Wir kommen zurück auf den schmalen Pfad. Und während wir ihm folgen, beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl von Verbundenheit, als wären wir alte Freunde. Das hat etwas Tröstliches. Ich weiß, wo wir sind. Vor mir liegt nichts Unbekanntes mehr. Als wir aus dem Busch kommen und auf die Straße treten, ergeht es mir ebenso. Es ist, als wäre ich lange fort gewesen und endlich zu Hause angekommen. Mit einem schrecklichen Geheimnis, das ich ausbrennen und unter Kontrolle halten muss.
    Das Licht ist grau und trist, doch es nimmt stetig zu. Vielleicht schaffen wir es, ehe die Welt erwacht. Ganz knapp.
    Jasper und ich laufen jetzt Seite an Seite, und ich überlege, ob wir uns trennen sollen, ob es gefährlich ist, zusammen gesehen zu werden. Genauer gesagt ist mir bewusst, dass es Verdacht erregen könnte, wenn ich mit Jasper Jones gesehen werde. Ich hole kurz Luft, um es anzusprechen, doch dann lasse ich es. Plötzlich will ich nicht mehr. Und das hat nichts mit Tapferkeit zu tun. Was weiß ich. Jetzt, wo wir etwas so Ernstes und Tiefgreifendes durchgestanden haben, empfinde ich ihm gegenüber so etwas wie echte Loyalität. Mir ist, als würde ein stillschweigender Pakt besudelt, wenn wir uns hier trennen. Wir sind Kameraden in einer Art Privatkrieg. Es erscheint mir plötzlich wichtig zusammenzubleiben, Seite an Seite.
    Als wir das sepiafarbene Zentrum von Corrigan erreichen, die Miners’ Hall, das Hotel Sovereign, das frisch renovierte Postgebäude, wird mir vollends bewusst, wie sehr ich in der Sache drinstecke. Mittendrin. Wie immer sie ausgehen mag. Natürlich habe ich Angst. Doch während ich in seinem Schatten laufe, packt mich auch eine Art freudige Erwartung. Ich und Jasper Jones, Detektive und Partner. Zwei wie Pech und Schwefel. Trotz allem freut es mich ein bisschen zu wissen, dass ich ihn mit Sicherheit wiedersehen werde. Dass er meine Hilfe braucht. Ich komme mir nicht mehr so lächerlich vor, wenn ich neben ihm herlaufe. Ich empfinde mich nicht mehr als unpassenden Kumpan. Während der Rest der Stadt Jasper Jones für einen Taugenichts hält, bin ich entzückt darüber, dass er mich behandelt, als wäre ich ihm ebenbürtig.
    Als wir endlich in meine Straße einbiegen, an den breiten Vorgärten entlanggehen und uns von der Seite meinem Elternhaus nähern, zeigt sich ein kleiner Silberstreifen an meinem Horizont. Offensichtlich sind meine Eltern noch nicht aufgestanden. Niemand hat mich erwischt. Noch nicht. Doch ich gehe nicht davon aus, dass dieses Glückgefühl lange anhalten wird. Kalt und beunruhigend lauern die Ereignisse dieser Nacht weiter in meinem Innern. Tief verankert und fixiert, wie das arme Mädchen, das wir an einen Stein gebunden haben. Wenn das Entsetzen und die Müdigkeit nachlassen, wird es weh tun. Es wird wie eine Blase nach oben steigen und platzen, das weiß ich genau.
    Es dämmert. Es ist hell. Aber es fühlt sich immer noch an wie Nacht.
    Ich drehe mich zu Jasper um. Er sieht erschöpft aus. Mir wird klar, dass es für ihn keine Ruhepause gibt, keinen Trost, keinen Ort, an den er zurückkehren kann, um sich hinzulegen und bemuttern zu lassen. Nicht mehr. Wenn es für ihn je einen Ort auf dieser Welt gegeben hat, dann ist es der, von dem wir gerade kommen; der Platz, der ihm gerade das Herz gebrochen und ihn in Gefahr gebracht hat. Jasper hat recht: Ihm wurden im Leben immer nur Dinge weggenommen.
    Er sieht erledigt und betrunken aus, doch plötzlich gibt er sich einen Ruck und hat wieder diese Aura von Stärke und Robustheit.
    Wohin wird er jetzt gehen? Sucht er sich ein ruhiges Plätzchen und wartet darauf, dass das Spektakel losgeht, oder kehrt er nach Hause zurück, wenn man das so nennen kann?
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher