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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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fühle mich mies für all das, was ich habe – und schon immer gehabt habe. Es kommt mir dumm und kleinlich vor, mich jemals über etwas beklagt zu haben. Ein verwöhnter kleiner Rotzlöffel, der gleich in sein sicheres Nest kriecht, während Jasper Jones seine Last allein trägt. Es ist nicht fair, überhaupt nicht fair. Am liebsten würde ich Jasper hereinbitten und ihm mein Bett überlassen, und ich hasse mich dafür, dass ich es weder tun kann noch tun werde. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass nach dem Aufwachen das Frühstück für mich bereitstehen wird. Dass meine Mutter noch am Leben ist und Dad ein freundlicher Abstinenzler. Es ist nicht richtig, einfach nicht richtig, dass ich so vieles habe, was er nicht hat. Wahrscheinlich fange ich gleich wieder an zu heulen, aber ich schätze, ich bin selbst dazu zu müde. So fertig und erschlagen bin ich.
    Ich wische mir die Stirn. Ich habe recht gehabt; die Erleichterung war nur von kurzer Dauer.
    Jasper schenkt mir ein schwaches Grinsen und versetzt mir einen Klaps auf den Arm. Dann steckt er die Hände in die Taschen. Keiner sagt ein Wort. Wir schauen uns einfach nur an, nicken und scharren mit den Füßen. Es gibt nichts zu sagen.
    Ich schüttle meine Bubisandalen ab und trete leise ans Fenster. Ich ziehe mich hoch und halte mich fest, als würde ich auf einem Seitpferd turnen, doch ich stecke fest. Also drehe ich den Kopf und zische: «Hilfst du mal?»
    Jasper kommt herüber und hebt mich ohne Probleme an. Ich bin durch. Ich hab es geschafft. Bin zurück auf meinem Bett.
    «Danke», flüstere ich durchs Fenster.
    «Gleichfalls», sagt er. «Bis dann, Charlie.» Er zögert, als habe er noch etwas auf dem Herzen, winkt aber nur kurz.
    Dann ist er fort.
    Ich schiebe die Glaslamellen wieder an ihren Platz. Es kommt mir vor, als wäre ich in mein eigenes Zimmer eingebrochen. Es fühlt sich anders an als vorher, nicht mehr wie mein Zuhause, aber dennoch sicher. Obwohl das Licht immer noch bläulich ist, kann ich die sich ankündigende Hitze bereits spüren. Mir fällt auf, wie schmutzig ich bin, wie verschwitzt und zerkratzt und wie heftig mir das Herz gegen die Rippen pocht. Laura Wishart ist fort. Ein für alle Mal. Sie wurde auf einer seltsamen Lichtung getötet, die nur Jasper Jones bekannt ist. Und ich habe sie dort hängen sehen. Sie war bereits tot. Ich habe geholfen, sie zu einem Tümpel zu tragen, habe sie hineingeworfen, und sie ist mit einem Stein untergegangen. Das ist unbestreitbar. Es ist die Wahrheit. Es ist das, was wir wissen. Ich habe Durst. Ich stecke in Schwierigkeiten. Mir ist schlecht, und ich kann nicht aufhören zu zittern. Dennoch weiß ich aus irgendeinem Grund, dass alles gut werden wird, wenn ich auf Jaspers Seite bin. Irgendeine Art von Schutz und Rechtschaffenheit ist hier am Werk. Ich lege mich hin. Es ist vorbei – vorerst.

[zur Inhaltsübersicht]
    2
    Als ich erwache, bin ich schweißgebadet. Es muss spät sein. Die Sonne scheint mir direkt in die Augen. Ich muss blinzeln. Ich habe das Gefühl, gerade von einer Operation erwacht zu sein. Auf jeden Fall fühlen sich meine Eingeweide an, als habe man an ihnen herumgezerrt und sie ausgeschabt. Ich frage mich, wie spät es ist.
    Die letzte Nacht meldet sich in Bruchstücken und Erinnerungssplittern zurück. Sie brauchen nicht lange, um mir ins Bewusstsein zu dringen. Ein gallenbitterer Moment, ein beschwertes weißes Kleid. Dann fällt mir alles wieder ein.
    Bestürzt setze ich mich auf. Ich erwarte Polizisten mit Pfeifen und gellenden Befehlen. Sirenen, Glocken und Suchflugzeuge. Spürhunde. Gelbe Absperrbänder und geschäftig wirkende Leute. Ich erwarte einen roten Himmel und unheilvolle Wolken und schaue aus dem Fenster. Bis auf den Kastagnettenchor der Zikaden ist es unglaublich friedlich in unserem Garten. Trotzdem vermute ich, dass man mich beobachtet. Ich spähe ausgiebig aus dem Fenster und vergewissere mich, dass es nicht der Fall ist.
    Ich stehe auf und betrachte mein Bett. Dort, wo ich geschlafen habe, ist ein dunkler Fleck. Ich fasse ihn an. Es ist Schweiß. Und rundherum verläuft ein dünner Dreckrand. Er sieht aus wie der Kreideumriss eines Mordopfers. Als wäre ich letzte Nacht gestorben. Oder als hätte ich mich wie eine Schlange gehäutet.
    Ich muss dringend pinkeln. Gemeinerweise versucht mein Schwanz sich Geltung zu verschaffen und drückt gegen meine Unterhose. Er ist steinhart und will nicht gehorchen. Ich ordne meine Kleidung und schnappe mir ein

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