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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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stehen, mich anspucken und beschimpfen, während ich rüde zu einem blinkenden Polizeiwagen geführt werde.
    Ich nicke in Richtung Zeitung.
    «Was gibt es Neues? Irgendwas Gutes?»
    «Immer das Gleiche, mein Junge.»
    «Ach so», sage ich, nippe an meinem Kaffee und wende den Blick ab.
    «Alles in Ordnung mit dir, Charlie?» Mein Dad wechselt die Tonlage. Er streckt die Hand aus, fühlt mir die Stirn und streicht mit dem Daumen über meinen Wirbel. Ich will ihm alles erzählen, will, dass er mich in die Arme nimmt und mir gut zuredet.
    «Ja, mir geht’s gut. Bin nur müde, denke ich.»
    «Also, wenn du doch nichts essen willst, junger Mann», sagt meine Mutter, «schlage ich vor, dass du zu Jeffrey hinübergehst. Er war heute Morgen schon fünfmal hier und will irgendetwas loswerden. Ich habe ihm gesagt, dass er dich wecken soll, aber er ist wieder nach Hause getrottet und hat gesagt, dass er später noch mal wiederkommt. Er ist einfach zu höflich, dieser Junge.»
    Scheiße. Das Testmatch. Das habe ich total vergessen. Kein Wunder, dass er nicht hereinkommen wollte. Mit Höflichkeit hatte das nichts zu tun, er wollte einfach keinen Ball verpassen. Wahrscheinlich hockt er in diesem Augenblick neben dem Radio und ist gespannt wie ein Flitzebogen, als würden dort Staatsgeheimnisse preisgegeben. Ich habe das noch nie verstanden. Schließlich spielt sich immer das Gleiche ab. Nichts auf der Welt wiederholt sich so sehr wie Cricket. Aber Jeffrey lauscht den Worten
Lawry steht weit weg vom Off Stump und schultert den Schläger!
auch bei der achtzigsten Wiederholung noch mit der gleichen Begeisterung und Aufmerksamkeit wie beim ersten Mal.
    Ich habe keine Lust, meinen Kaffee auszutrinken, aber mir den Zorn meiner Mutter zuzuziehen, indem ich ihn vergeude, ist die Sache nicht wert. Ich kippe ihn in aller Eile hinunter und verziehe den Mund wegen der Bitterstoffe unten am Boden. Er verbrennt mir die Innereien, aber wenigstens ist er weg. Ich spüle den Kaffeesatz am Waschbecken aus und nehme mit einem gelassenen Abschiedsgruß den linken Bühnenausgang.

    Jeffrey wohnt vier Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite. Eine längere Strecke hätte ich heute wohl kaum geschafft. Es muss der heißeste Tag seit Menschengedenken sein. Entweder verschlingt die Sonne gerade die Erde, oder sie kommt wie ein riesiger Meteor auf uns zugerast. Unser Vorgarten knirscht unter meinen Füßen. Ein Stück die Straße hinunter sehe ich ein merkwürdiges Hitzeflimmern. Als ich vor Jeffreys Haustür ankomme, habe ich das Gefühl, einen Marathon absolviert zu haben, deshalb beeile ich mich mit dem Anklopfen und schaue mich auf der Veranda um. Ich begrüße Jeffreys mürrischen gescheckten Kater, den Vorsitzenden Mau, der mich ignoriert und unter dem weißen Käfig von Jeffreys geselligem Wellensittich, dem Vorsitzenden Wau, hockt.
    Mrs. Lu öffnet die Tür.
    «Hallo, Chally», sagt sie, dann verschwindet ihr freundliches Lächeln und sie wirkt plötzlich niedergeschlagen. Traurig schüttelt sie den Kopf. «Es ist gar nicht gut. Das Crickitspiel regnet. Komm rein, komm rein.»
    Jeffrey schießt aus dem Wohnzimmer. Er ist von Kopf bis Fuß weiß gekleidet.
    «Wo hast du gesteckt, du Idiot?»
    «Keine Ahnung. Ich hab geschlafen. Es regnet?»
    Mrs. Lu lacht plötzlich wieder. «Nein, Chally, es ist sehr
heiß
!» Sie drückt meinen Arm, nickt kurz und geht kichernd davon.
    «Was sollte das denn?», fragt Jeffrey und schaut ihr nach.
    Ich folge ihm ins Wohnzimmer. Er hat das Radio auf volle Lautstärke gedreht.
    Ich setze mich aufs Sofa, Jeffrey pflanzt sich auf einen Klavierhocker, den er vor das Radio gezogen hat. Hier drinnen ist es wesentlich kühler. Jeffrey gibt die Ereignisse des Tages mehr als ausführlich wieder. Er ist offensichtlich enttäuscht. Doug Walters hat heute sein Debüt, es ist das erste Spiel in der
Ashes
-Serie, dem berühmten mehrtägigen Länderwettkampf zwischen Australien und England, und so wie es aussieht, wird das Spiel für den Rest des Nachmittags wegen Regens abgebrochen werden. Der Gedanke an einen kräftigen, frischen Regen, einen richtigen kalten Guss, erscheint mir im Augenblick ungeheuer verlockend.
    Mrs. Lu fegt mit einem Tablett voller Süßigkeiten, Obst und zwei Gläsern eiskaltem Litschisaft herein. Ich bedanke mich, und Jeffrey macht sich darüber her. Sie dreht sich um und schreit ihn auf Vietnamesisch an.
    Jeffrey, der den Mund schon voll hat, sagt: «Das ist
nicht
unhöflich! Es ist doch bloß

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