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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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sorgfältig instand gehalten wird. Ein alter Mann in Khakihosen steht in der Mitte des Platzes und wässert den Rasen der Pitch.
    Der von Netzen umspannte Übungsplatz ist von der hiesigen Mannschaft für das Countryweek-Cricketturnier belegt. Ich höre das Krachen und Ploppen herüberschallen. Aus der Ferne sieht die Truppe aus wie eine Art Kolbenpresse. Ich bleibe stehen und mache Jeffrey mehr oder weniger Zeichen umzukehren.
    «Pech gehabt, was?», sage ich.
    «Reg dich nicht auf, Chuck. Ein paar Würfe kriegen wir schon hin.»
    «Du machst Witze, oder? Die lassen dich nicht mitspielen, Jeffrey! Das tun sie nie. Komm, lass uns einfach zurückgehen. Wir spielen auf der Straße.»
    «Klar lassen sie uns, Chuck. Komm schon.»
    Jeffrey läuft die grasbewachsene Böschung hinab zum Übungsplatz.
    «Auf welchem Planeten lebst du eigentlich, verdammt noch mal?», rufe ich ihm kopfschüttelnd nach, aber er lächelt gelassen und läuft voller grenzenlosem Optimismus weiter, wobei er die Sporttasche hinter sich herzieht. Hin und her gerissen bleibe ich, wo ich bin. Entweder ist er verrückt oder er hat kein Gedächtnis.
    Ich beschließe, ihm zu folgen, allerdings mit etwas Abstand.
    Es überrascht mich nicht, als ich beim Näherkommen feststelle, dass sich die Mannschaft aus meinen Antipoden zusammensetzt. Der Übelste von ihnen, Warwick Trent, steht ganz hinten und reibt gemächlich einen Ball an seinen Eiern. Er hat die breitesten Schultern und den längsten Anlauf von allen. Er gehört zu der Sorte Jungen, die schon immer zwei Jahre älter und breiter waren als alle anderen in seinem Alter. Wahrscheinlich ist er mit Bart und Haaren auf der Brust zur Welt gekommen und hat gewinselt und gestunken wie der riesige Scheißhaufen, der er ist.
    Warwick Trent hat die meisten Pfirsiche von Mad Jack Lionels Baum geklaut. Er ist Rekordhalter und hat von vier verschiedenen Streifzügen vier Kerne in der Tasche. Er hat schon echten Sex gehabt. Mehr als einmal. Er war in mehr Kämpfe verwickelt als irgendjemand sonst und hat die meisten davon gewonnen, darunter einen mit einem Minenarbeiter mittleren Alters vor dem Hotel Sovereign. Er wird gefürchtet und bewundert, und das weiß er. Er hat eine Tätowierung. Er ist grob und jähzornig, und ich hasse ihn wie die Pest.
    Vermutlich ist die Tatsache, dass ein Großteil seiner körperlichen Ressourcen auf direktem Weg zu seiner Hirnanhangdrüse geleitet wird, der Grund dafür, dass er in schulischer Hinsicht eine absolute Niete ist. Auch wenn es nur selten zur Sprache kommt, hält er auch den Rekord im Sitzenbleiben (zweimal). Eine unbedeutende Tatsache, die mich mit Häme erfüllt und gleichzeitig schmerzt, weil seine Dummheit dafür gesorgt hat, dass er in meiner Klasse gelandet ist.
    Es ist nämlich so: Wenn ich im Unterricht ein Wort benutze, das ihm zu schlau erscheint oder das nicht zu dem halben Dutzend restringierter Einfachsätze gehört, die er auf Anhieb versteht, lauern er und seine Kumpane mir beim Mittagessen oder nach Schulschluss auf und wiederholen das Reizwort wie ein Mantra, wobei sie mir jedes Mal einen Schlag gegen die Schulter versetzen.
    Restringiert.
Autsch.
Restringiert.
Au.
Restringiert.
Oh.
    Wenn ich weglaufe, fangen sie mich ein und verdreschen mich. Wenn ich versuche, mich zu wehren, riskiere ich die vollständige Vernichtung. Wenn ich sie beleidige, das Gleiche. Wenn ich jemandem davon erzähle, kommt es einem aufgeschobenen Todesurteil gleich. Wenn ich anfange, zu jammern und wie ein Mädchen zu heulen, machen sie auf der Stelle Hackfleisch aus mir.
    Also stehe ich da und lasse die Strafen, die sie nach Lust und Laune austeilen, stumm über mich ergehen. Meistens geht es schnell und schmerzhaft über die Bühne. Wenn ich mich allerdings besonders schlau gezeigt habe oder unsere Lehrerin von mir sehr angetan war, schlagen sie mir die Brille von der Nase und verpassen mir Pferdeküsse auf die Oberschenkel, gepaart mit irgendeiner anderen Form von öffentlicher Demütigung.
    Ihre Botschaft ist unmissverständlich: Spiel bloß nicht den Schlaumeier.
    All das hat mich jedoch nur in meinem Entschluss bestärkt, mich beim Lernen noch mehr anzustrengen. Und das nicht ohne eine gewisse Portion Gehässigkeit. Ich habe eine Vorliebe für neue Wörter entwickelt. Jedes Mal, wenn ich auf einen neuen Begriff stoße, schlage ich ihn nach und speichere ihn. Es ist, als würde ich mit jedem neuen Wort einen Schlag erwidern. Wie obskur oder veraltet die Begriffe auch sein

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