Wer hat Angst vor Jasper Jones?
seinem Klemmbrett aufsieht. Seine Zähne haben die gleiche Farbe wie Badewasserdreck. Warwick Trent hebt Jeffrey mit einem Arm am Hemdkragen hoch. Die anderen jubeln, und Trent schleudert Jeffrey nach hinten, sodass er wild mit den dünnen Armen rudert. Noch mehr Gelächter. Jeffrey rappelt sich schnell wieder auf und nimmt seine Position wieder ein.
Ich will das nicht länger mit ansehen.
Wenn doch nur Jasper Jones hier wäre. Ich wünschte, er würde neben mir stehen. Dann könnte ich alles herausbrüllen, was mir auf der Seele liegt. Ich könnte fluchen und mit dem Finger auf den Trainer zeigen. Ihm sagen, dass er eine verdammte Schande ist. Dass er keine Ahnung vom Spiel hat. Dann würde ich Warwick Trent sagen, dass er ein stinkender, arroganter Trottel ist, der nie aus diesem Kaff herauskommen wird, dass er dank seiner Dummheit hier für alle Zeiten festsitzt wie eine Ratte im Laufrad. Ich würde ihn angrinsen und wissen lassen, dass er die intellektuelle Finesse einer Amöbe besitzt und mich an seinem verwirrten Blinzeln ergötzen. Und dann würde ich ihm einen kräftigen Schlag gegen die Schulter versetzen und ihm
intellektuell, intellektuell, intellektuell. Amöbe, Amöbe, Amöbe
ins Ohr raunen. Jeffrey würde ich seine Schienbeinschützer anziehen lassen, und die anderen müssten ihm die Bälle servieren. Sie würden schon merken, dass er einer der Besten ist. Er würde mit ihren Bällen machen, was er will, und ihnen bliebe gar nichts anderes übrig, als ihn zu bewundern.
Doch das wird nie passieren.
Ich reibe mir das Kinn an der Schulter. Es dämmert, und im kupferfarbenen Abendlicht sehe ich Eliza Wishart über das Oval kommen. Sie hat das Buch immer noch in der Hand.
Heute wirkt alles viel eindringlicher als sonst. Alle meine Sinne sind gespannt und vibrieren. Die leiseste Erschütterung fühlt sich an wie ein Erdbeben. Das emsige Surren der Insekten um mich herum verfolgt mich, als säße ich in einem riesigen Bienenkorb gefangen. Ich beobachte Eliza Wishart und bin wie gebannt. Sie wirkt so selbstsicher und gleichzeitig so ernst.
Ich glaube, sie sieht mich. Sie hebt den Kopf. Ich blicke zu Boden. Ich kann nicht anders. Als ich wieder aufschaue, winkt sie mir kurz zu. Ich antworte mit einem Lächeln. Ich sollte hinübergehen, sollte zu ihr laufen und eine geistreiche Bemerkung darüber machen, dass sie mir folgt. Wir würden beide darüber lachen. Dann würde ich sie nach ihrem Buch fragen, und wir würden uns unterhalten. Uns vielleicht an den Händen fassen. Ich würde sie fragen, ob sie mich vielleicht später am Fluss treffen möchte, und ihr bedeutungsvoll in die Augen schauen. Und sie wäre von meiner Offenheit so verblüfft und beeindruckt, dass sie sofort ja sagen würde.
Das sollte ich tun. Es auf der Stelle in die Tat umsetzen, so wie Jasper Jones; mit gestrafften Schultern, langen Schritten und einem wissenden Lächeln. Ich werde es tun. Jetzt sofort.
Ich schiebe die Hände in die Hosentaschen.
Hinter mir pfeift einer durch die Zähne. Dann alle. Ich fahre herum. Sie lachen. Warwick Trent legt sich eine Hand an den Mund.
«Ey, zeig uns deine Titten!»
Eliza schaut zu Boden und geht ein wenig schneller.
Ich bin entsetzt. Hoffentlich glaubt sie nicht, dass ich zu denen gehöre. Warwick Trent hat seinen Schwanz ausgepackt und schwenkt ihn in ihre Richtung. Alle grölen. Zum Glück hat sie sich abgewandt.
Sie lachen. Drehen sich weg. Verlieren das Interesse. Eliza Wishart ist fast verschwunden. Ich schaue ihr nach. Ich hätte etwas sagen sollen, hätte einschreiten und ihre Ehre verteidigen müssen. Ich bin ein Idiot. Ich will zu ihr. Ein bisschen wirr im Kopf setze ich mich hin.
Laura Wishart ist tot. Ihre Schwester weiß nichts davon. Doch schon bald wird ganz Corrigan Bescheid wissen. Und ich befinde mich im Auge des Sturms. Die Welt liegt in Trümmern. Ich weiß nicht, was die Stadt tun wird. Es ist, als würde ich stumm darauf warten, dass die Schlacht beginnt, wissend, dass man mich aus dem Hinterhalt angreifen wird. Um meine Brust liegt ein Band, das sich immer fester zuzieht. Zum ersten Mal ist es für mich kein Trost, etwas zu wissen, das sonst niemand weiß.
Wie kann Jasper Jones nur erwarten, dass wir zurückgehen und alles enträtseln? Wir haben sie an einen Stein gebunden. Sie im Wasser
versenkt
. Das waren
wir
. Wir haben keine Chance, dieses Geheimnis zu lüften. Es ist einfach zu groß, viel zu groß und zu kompliziert. Wo sollen wir anfangen?
Laura Wishart ist
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