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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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mögen, ich sauge sie auf und lasse sie in mir Wurzeln schlagen. Und ich schwöre mir, sie nicht zu vergessen. Ich sammle Wörter und schließe sie weg, horte sie wie einen Haufen Edelsteine.
    Und jeden Abend kommen sie zum Einsatz, jeden Abend knacke ich das Schloss. Ich habe schwarze Stifte und gelbe Schreibblöcke, auf denen ich Geschichten und Gedichte verfasse und so meine Juwelen poliere. Manchmal stelle ich mir vor, diesen Jungen meine Gedichte entgegenzuspucken, auch wenn ich weiß, dass es so wäre, als würde ich sie mit einer Feder verdreschen. Dass sie einfach nur lachen würden. Und natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass sie mit etwas deutlich Festerem zurückschlagen würden. Dennoch ziehe ich eine grimme Befriedigung daraus, Dinge zu wissen, die sie nicht wissen, etwas zu besitzen, das sie nicht haben. Daran denke ich, wenn ich stumm ihre Schläge kassiere.
    Ich stelle mich ans obere Ende des Platzes. Dort bin ich weit genug weg, um halbwegs unauffällig zu sein. Ich werde hierbleiben und die Bälle holen, die geradewegs durch oder über die Netze fliegen, und sie mit gesenktem Kopf zurückrollen. Ich rechne nicht damit, dass sie mir dankbar zuwinken, hoffe aber, Jeffrey damit ein wenig Kummer zu ersparen.
    Trotzdem bin ich nervös. Ich schaue zu Jeffrey hinüber, der gelassen seine Crickettasche zwischen die der anderen stellt. Er gesellt sich so unbekümmert dazu und mischt sich unter die Schar der Bowler, als gehöre er zur Mannschaft. Er sieht winzig aus. Als würde man einem Hündchen dabei zusehen, wie es eine vielbefahrene Straße überquert. Jeffrey stampft und schabt sich seinen Anlaufpunkt zurecht, doch dann wird er von dem Platz gestoßen, den er sich ausgesucht hat.
Verpiss dich, Mösenauge
, höre ich jemanden sagen, und mein Magen zieht sich zusammen.
    Mir ist das unbegreiflich, denn Jeffrey hat es schon öfter versucht, und nie endet es ohne irgendeine Demütigung. Ich schaue zu, wie er sich am Rand des Übungsfeldes herumdrückt, sich nicht an seinen Anlaufpunkt stellt, aber auf eine Chance wartet zu bowlen.
    Doch ich weiß, dass es kommen wird wie immer. Jeffrey ist ein linkshändiger Spin Bowler, und wer immer gerade mit Schlagen an der Reihe ist, versucht seinen Ball so weit wie möglich wegzudreschen. Wenn sie ihn verpassen, was bei Jeffreys Würfen häufig der Fall ist, holt der Schlagmann den Ball zurück, wirft ihn hoch und drischt ihn dann über das Netz ins Nirgendwo. Und Jeffrey läuft dem Ball gutmütig hinterher, holt ihn zurück und lässt ihn zwischen den Fingern kreisen.
    Manchmal verrechnet sich Jeffrey bei seinen Läufen, und die losstürmenden schnellen Bowler rennen ihn regelrecht über den Haufen. Dafür wird er natürlich wüst beschimpft und herumgestoßen. Mitunter schubsen ihn sämtliche Bowler wie eine Flipperkugel durch die Gegend, bringen ihn zum Stolpern und kicken seinen Ball weg.
    Nur ganz selten gestattet man ihm, die Schienbeinschützer anzuziehen, ganz zum Schluss, wenn es schon fast dunkel ist. Und nie geschieht es aus Nachsicht. Sie schließen vorher Wetten über Körpertreffer ab und bowlen dann viel zu kurze oder schnelle Bälle über die Schlaglinie hinaus. Auch wenn Jeffrey unverwüstlich und beeindruckend gut ist, knallt ihm hin und wieder ein Ball an die Brust oder die Schulter. Dann brüllen sie vor Begeisterung und tauschen Geld oder andere Wertgegenstände aus. Doch Jeffrey lässt sich nicht unterkriegen und tut, was er kann, um auf dem Platz zu bleiben, bis sie müde werden und gehen.
    Ich verfolge Jeffreys ersten Wurf, der perfekt kommt. Der Ball dreht sich blitzschnell und wirft den linken Querstab von Jacob Irvings Wicket herunter, der wie festgewachsen dasteht und einen lächerlichen Schlag hinlegt. Unter den Bowlern werden Anfeuerungsrufe und Gelächter laut. Wie ich erwartet hatte, bückt sich Irving, fischt den Ball aus dem hinteren Netz und schleudert ihn mit aller Kraft ins Nirgendwo. Er spuckt in Jeffreys Richtung, klatscht in die behandschuhten Hände und höhnt: «Ach, tut mir so leid!»
    Alle lachen und schauen zu, wie Jeffrey in seinen gebügelten weißen Klamotten hinausläuft, um den Ball zurückzuholen. Er wird in der Horde angerempelt und herumgestoßen. Er ist so klein. Jemand tritt ihm gegen den Knöchel und sagt: «Verpiss dich, Cong.» Jeffrey gerät ins Stolpern, läuft aber mit hoch erhobenem Kopf weiter. Ich schäme mich so. Es tut weh, das mit anzusehen. Am liebsten würde ich zu ihm hinüberlaufen und ihm

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