Wer hat Angst vor Jasper Jones?
einfach loszupreschen, ohne sich umzuschauen. Wenn mir nichts passieren könnte, würde ich herumstolzieren wie Superman, aber so schlappe ich als Charles Bucktin durch die Gegend, den man zerdrücken kann wie einen Pfirsich, der sich vor Insekten fürchtet und vom Kämpfen nichts versteht.
Bedeutet das, Jasper Jones hat es leichter als ich? Und was ist dann mit Jeffrey Lu? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er der Mutigste von uns allen.
Ich werde beim Schreiben unterbrochen.
«Himmel noch mal, Charles Bucktin! Was hast du bloß gegessen?»
Meine Mutter hat gerade die Toilette betreten. Ich grinse vor mich hin. Ein Dutzend Frotzeleien über ihre Kochkünste liegen mir auf der Zunge, doch jede einzelne davon käme einem Todesurteil gleich.
Ich schreibe weiter. Es ist wirr und planlos, aber es fühlt sich gut an. Als hätte ich ein Ventil aufgedreht. Als hätte ich einen Teil dieses Schlamassels abgestreift und weitergegeben.
Es ist schon spät, als ich erschöpft innehalte. Im Haus ist es heiß und still. Ich gleite auf mein Bett und schaue noch einmal aus dem Fenster, flüstere Jaspers Namen dorthin, wo ich ihn gerne stehen sehen würde, und lasse meinen Augen Zeit, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Nichts. Ich seufze.
Ich räume meinen Schreibtisch auf. Lege den gelben Block zurück in seinen Koffer. Ehe ich das Kombinationsschloss zuschnappen lasse, blättere ich die dünnen Seiten der bereits gefüllten Notizblöcke durch, einfach nur um ihre Knicke und Falten zu spüren. Ganz unten befindet sich ein in braunes Packpapier eingewickelter dicker Packen, über den ich lächeln muss. Ich wickle den roten Faden ab und blättere in dem Papierstapel.
Im letzten Winter haben Jeffrey und ich die Regentage damit zugebracht, eine Geschichte zu schreiben, einen Groschenroman, der ziemlich schnell außer Kontrolle geraten ist, auch wenn ich nichts dafür konnte. Für gewöhnlich saß ich mit dem Block auf dem Schoß da, während Jeffrey mit einem Arm auf dem Rücken vor dem Kamin auf und ab tigerte und eine leere Pfeife schwenkte, während er vor wilden Einfällen förmlich übersprudelte. Die Geschichte schlug mehr Haken als ein Hase auf der Flucht. Jeffrey war für Spannung und Nervenkitzel zuständig, vor allem in Form von Kung-Fu-Kämpfen und heißen Verfolgungsjagden, während ich die Aufgabe hatte, aus diesen Sequenzen eine richtige Geschichte zu spinnen (was Jeffrey als Mädchenkram bezeichnete). Außerdem wurde ich zum Minister für Geistreiche Dialoge ernannt.
Unser tempogeladenes Abenteuer drehte sich um einen ausgebrannten Exbullen aus Detroit namens Dee Wahrheit, der nach dem mysteriösen Verschwinden seiner Frau mit einer hervorragenden Quote bei der Verbrechensbekämpfung den Polizeidienst quittiert und sich ganz seiner alten Leidenschaft widmet: der Archäologie.
Was dann folgte, war eine Reihe kaum nachvollziehbarer Entwicklungen, bei denen Dee Wahrheit den Heiligen Gral entdeckt sowie Josef Stalin, der sich als wildgewordener falscher Papst verkleidet, nachdem er den echten entführt hat, und Dees vermisste Frau als gehirngewaschene Attentäterin namens Ivana Pistolova wieder auftaucht, mit dem Auftrag, ihn zu töten und den kostbaren Gral an sich zu bringen.
Natürlich endete das Ganze in einer Reihe wüster Kampfszenen in den Gemächern des Papstes. Dee Wahrheit und seine Frau finden in leidenschaftlicher Liebe wieder zueinander, während Stalin, wie es sich gehört, wegen Ketzerei auf dem Petersplatz gehängt wird.
Ich war eigentlich nicht damit einverstanden, Stalin zu lynchen, aber Jeffrey beharrte darauf, dass es notwendig sei, damit sein Titel funktioniere. Er wollte unser Meisterwerk
Fahr zur Hölle, Pope
nennen. Ich neigte mehr zu
Dee Wahrheit bringt die Freiheit.
Am Ende einigten wir uns darauf, beides zu nehmen und meinen Vorschlag als Untertitel zu verwenden.
Nachdem wir uns auf ein passendes Pseudonym geeinigt hatten (Clifford J. Brawnheart), wickelte Jeffrey unser Manuskript in Packpapier und erklärte, darin liege nun
der
Große Australische Roman.
«Wie kann das sein?», wandte ich ein. «Es kommen doch gar keine Australier vor. Und um ehrlich zu sein, wirken die Zufälle schon ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Das werden die Kritiker bemäkeln.»
Jeffrey warf den Kopf zurück und stöhnte.
«Chuck, du bist wirklich unglaublich bourgeois. Es wird überhaupt kein Gemäkel geben. Du hast nicht die geringste Ahnung von Literatur. Die Wahrheit ist schräger als Fiktion,
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