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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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einige hektische Schattenboxkombinationen, die er mit Geräuschen unterlegt.
    «Komm runter, Muhammad.»
    «Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene. Du triffst mit dem Schläger nichts, was du nicht siehst. Peng!» Er küsst seine Fäuste.
    «Du bist verrückt.»
    «Was hast du gesagt, Chuck? Ich bin der Größte?»
    «Nein, du bist ein …»
    «Wahrscheinlich hast du recht. Ich
bin
der Größte.» Und schon geht Jeffrey in die zweite Runde. Er täuscht an und hüpft hin und her, dass die Sporttasche auf seinem Rücken wippt. Ich schüttle wütend den Kopf.
    «Ich hasse diese Schweine.»
    Jeffrey seufzt.
    «Wenn ihm niemand das Fahrrad geklaut hätte, wäre Muhammad Ali nie auf den Gedanken gekommen, jemanden zu schlagen, Chuck.» Jeffrey bleibt stehen und hält mir seinen Zeigefinger vor die Nase. «Aber du bist ein Idiot.»
    «Warum?»
    «Weil du nicht zu Eliza gegangen bist und mit ihr geredet hast.»
    «Na und?» Ich zucke die Achseln.
    «Chuck, du bist wirklich der
König
der Idioten. Natürlich hat sie den Weg deshalb genommen, weil sie wusste, dass du hier bist. Sie liebt dich.»
    Ich schüttle den Kopf.
    «Du wirst rot!», stellt Jeffrey fest und zeigt auf mich wie ein Zeuge bei einer polizeilichen Gegenüberstellung. «Du machst mich wirklich krank!»
    «Erstens, Jeffrey, werde ich
nicht
rot, sondern mir ist heiß. Es war nämlich ein heißer Tag. Und das mit meinem Gesicht liegt an der Hitze. Und zweitens konnte Eliza unmöglich wissen, dass wir zum Cricketplatz gehen, also kann sie auch nicht hier entlanggegangen sein, nur um mich zu sehen. Was
zusammengefasst
nichts anders heißt, als dass du keine Ahnung hast, wovon du redest.»
    Jeffrey legt den Kopf in den Nacken, brummt und stampft durch die Gegend wie ein Zombie.
    «Charles, du hast keinen blassen Schimmer von der Welt der Verführung. Lass dich von einem Experten beraten, also von mir. Ich weiß nämlich
alles
über Mädchen. Sie sind viel zu dumm, um rätselhaft zu sein.»
    «Jeffrey, du weißt nicht das Geringste über Mädchen.»
    «Quatsch! Was gibt es da nicht zu wissen?»
    «Jede Menge.»
    «Ich weiß, warum sie Make-up und Parfüm tragen.»
    «Und warum?», frage ich seufzend.
    «Weil sie hässlich sind und stinken!»
    Wir kabbeln uns auf dem ganzen restlichen Heimweg. Jeffrey erspäht einen Snottygobble-Baum, der noch nicht geplündert wurde. Er pflückt eine Handvoll Früchte, die wir miteinander teilen, während wir darüber nachsinnen, wie der erste Mensch darauf gekommen sein könnte, dass Kühe Milch geben, wer die Buchstaben des Alphabets angeordnet hat und warum sie sich gerade auf diese Reihenfolge geeinigt haben. Und wir fragen uns, warum Kamikazepiloten Helme tragen. Doch mit dem Herzen bin ich einfach nicht dabei.
    Als wir in unsere Straße einbiegen, verkrieche ich mich hinter Jeffrey, in der Erwartung, dunkel und bedrohlich aussehende Fahrzeuge wild geparkt auf unserem Rasen vorzufinden und Leute mit Anzügen und Sonnenbrillen, die auf mich warten und mit dem Finger auf mich zeigen, sobald ich näher komme. Und dazu Lautsprecher, Flugzeuge und schockierte Schaulustige.
    Es droht keine Gefahr, doch ich empfinde keine Erleichterung. Im Gegenteil: mein Unbehagen wächst. Die Last wird immer schwerer.
    «Hör auf, meinen Hintern anzustarren!», sagt Jeffrey. Geistesabwesend kehre ich an seine Seite zurück.
    Auf der Straße herrscht ein wenig mehr Betrieb als heute Nachmittag. In der abgekühlten Luft halten die Nachbarn Schwätzchen über dem Vorgartenzaun oder wässern mit Schläuchen oder Zinkkannen ihre Pflanzen. Kleinkinder tapsen nackt durch die Gegend, andere Kinder rennen in Unterwäsche kreischend unter Rasensprengern her. Der Geruch von Abendessen wabbert aus offenen Haustüren. Man hört Fernseher schwatzen, elterliche Zurechtweisungen und Gelächter.
    Jeffreys Dad, An, ist vor dem Haus und arbeitet mit Liebe und Hingabe in seinem Garten. Hinter dem Haus zieht er einige seltsame Früchte und Gemüsesorten, doch hier vorn befindet sich eine einzigartige Farbenpracht.
    An Lu ist Ingenieur bei der Mine, doch Abend für Abend kümmert er sich mit Besessenheit um sein Obst und Gemüse oder um seine Blumen, sogar wenn er auf der Arbeit Überstunden machen musste. Jeffreys Vorgarten ist so etwas wie Corrigans botanischer Garten und mit Abstand der beeindruckendste Anblick in der ganzen Straße. Jeffrey sagt, An bestelle Samen und Setzlinge in der ganzen Welt und führe ein Tagebuch darüber, wann und wie sie

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