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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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verstehst du? Die Leute sind bereit, alles zu schlucken, wenn du es ihnen nur überzeugend genug präsentierst. Sie
wollen
, dass man ihnen einen Bären aufbindet. Und hinterfragen wollen sie schon gar nichts. Das ist viel zu anstrengend. Wenn du so tust, als wäre es dir ernst mit dem, was du sagst, hast du’s geschafft. Was dir fehlt, Charles, ist Überzeugung. Schau dir Dickens an! Er ist mit allem ungestraft durchgekommen! Ganz zu schweigen von Dschieses Kreist und diesem ganzen zombiehaften Wiederauferstehungsgedöns.
Das
nenne ich ein verdrehtes Ende, das schwer an den Mann zu bringen ist. Er ist tot, er ist tot, nein, warte, wer kommt denn da hinter dem Felsbrocken heraus? Neeeein, das glaub ich ja nicht! Nanu, er lebt! Hallo, Zombiedschieses! Da ist er ja wieder!»
    «Bei allem Respekt, Sir, aber das finde ich jetzt ein bisschen zynisch.»
    «Das ist nicht zynisch, das ist faktional.»
    «Faktional? Das gibt es gar nicht. Das ist nicht mal ein Wort.»
    Jeffrey richtete den Pfeifenstiel auf mich.
    «Das Problem mir dir ist, Charles, dass du eine hohle Nuss bist. Wenn du also freundlicherweise davon absehen könntest, mir mit deinen Unverschämtheiten die Zeit zu stehlen, will ich dich daran erinnern, dass Clifford J. Brawnheart immer recht hat. Punkt. Aus. Ende.»
    Und so war es. Seitdem liegt
Fahr zur Hölle, Pope
in meinem Koffer, und obwohl wir oft über seine Vorzüge debattierten, hat keiner das Buch ein weiteres Mal gelesen. Ich bezweifle, dass es mir als Eintrittskarte in den Kreis der geistigen Elite dienen wird, aber ich bin trotzdem sicher, dass ich eines Tages an etwas Großem und Bedeutendem arbeiten werde. Ich werde diese ahnungslose Stadt in Erstaunen versetzen und mich mit einem Buch, das meinen Namen trägt, auf den Weg nach Manhattan machen.
    Ich habe mich schon oft gefragt, ob mein Vater in seinem Bibliothekszimmer den gleichen Plan hat. Schon lange habe ich ihn im Verdacht, dort drinnen heimlich an etwas zu schreiben. Fast jeden Abend schleicht er sich dort hinein und bleibt stundenlang auf. Manchmal schläft er sogar an seinem Schreibtisch ein.
    Er
muss
an irgendetwas arbeiten. Ich frage mich, wovon es handeln mag und ob er bald damit fertig wird, wie lang es wohl sein und wie viele Seiten es haben mag, wie viele Wörter? Es ist Jahre her, seit er anfing, sich in sein Zimmer zurückzuziehen und die Tür hinter sich abzuschließen, was ich nie verstanden habe. Ich meine, ich würde nie unangemeldet bei ihm hineinplatzen, und meine Mutter hat das Zimmer seit acht Jahren nicht mehr betreten. Die Bibliothek meines Vaters war nämlich früher ein zweites Kinderzimmer. Es war fliederfarben gestrichen und für die Ankunft meiner kleinen Schwester eingerichtet, die kurz vor der Geburt gestorben ist. Das hat meine Mutter fast das Leben gekostet und ihr die Chance geraubt, es noch einmal zu versuchen.
    Trotzdem ist es eine merkwürdige Vorstellung, dass sowohl mein Vater als auch ich heimlich schreibend die Nächte zubringen und unter dem gleichen Dach Lügen und Geheimnisse spinnen. Ich frage mich, ob er mir von seinem Werk erzählen würde, wenn ich ihm von meinem erzählte, und ob er mich etwas lesen lassen würde.
    Sorgfältig klappe ich den Koffer zu und schließe ihn ab. Dann schiebe ich ihn unter das Bett. Ich lege die Hände an die Schläfen und schaue ein letztes Mal aus dem Fenster. Jasper Jones kommt nicht. Heute Nacht bin ich auf mich gestellt.
    Ich drehe mich um und lege den Kopf wieder aufs Kissen. Ich betrachte meinen Brustkorb und den Bauch und mustere finster die steckendünnen Arme und die hervorstehenden Rippenbögen. Verächtlich schürze ich die Lippen. Ich lasse mich auf den Boden rollen und absolviere entschlossen ein paar Liegestütze. Ich komme bis zehn, ehe ich mehr oder weniger ins Koma falle.
    Als ich japsend wieder auf dem Bett liege, verschränke ich die Arme hinter dem Kopf und denke an Eliza Wishart.
    Es mag lächerlich klingen, aber ich kann sie fast riechen. Ich schließe die Augen. Ich hätte mit ihr reden, hätte über das Spielfeld zu ihr laufen sollen, die Taschen randvoll mit genau den richtigen Worten. Ich sehne mich so sehr danach, sie zu sehen, dass es fast weh tut.
    Ich frage mich, was im Moment bei ihr zu Hause vor sich geht. Schläft sie, oder ist sie wach und verzweifelt? Ich stelle mir ihre Eltern vor. Wie sie spekulieren und vermuten und vor Angst durchdrehen. Sie müssen die Polizei eingeschaltet haben. Die Behörden. Diejenigen, die dafür

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