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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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Lage bin, sie davon zu befreien, schmerzt mich mehr, als es etwas anderes je vermocht hat.
    Und ich denke an Laura. Diesen schweren Geist, der mir so entsetzlich deutlich vor Augen steht. Ich denke an das einsame Wort der Entschuldigung, des Eingeständnisses und des Bedauerns, eingeritzt in den Eukalyptusbaum, an dem sie nicht mehr hängt.
Verzeihung.
Ich schaue in das Gesicht meiner Mutter und kann an nichts anderes denken als an Laura und Jasper und an ihre Pläne, die Stadt zu verlassen, in der Großstadt neu anzufangen, richtig durchzustarten und ein tolles Leben zu führen. Es ist so
jammerschade
. Niemand hat es verdient, seine Pläne so enden zu sehen. Dann denke ich an Mrs. Lu und an Jeffrey, wie er sie wenige Stunden zuvor aus der Versammlungshalle geführt hat. Diese ganze schreckliche Melange der Trauer ist zu viel, einfach zu viel. Es bricht aus mir heraus. Zuerst ist es nur ein Stottern, dann ergeht es mir wie meiner Mutter. Alles holt mich ein. Ich breche zusammen und fange an zu weinen. Im ungünstigsten Moment, mitten im Scheinwerferlicht, als ganz Corrigan mich anstarrt, plärre ich los wie ein Mädchen. Und ich kann einfach nicht mehr aufhören. Meine Mutter wiegt unbeholfen meinen Kopf. Sie riecht nach Wein und Parfüm und irgendetwas säuerlich Verschwitztem, was ich nicht richtig zuordnen kann. Meine Schultern beben. Ich bin froh, dass Jasper fort ist. Ich würde sterben, wenn er hier wäre und das mit ansähe.
    Der Gedanke an ihn gibt mir die Kraft, mich zusammenzureißen. Schniefend bekomme ich mich wieder etwas unter Kontrolle. Ich schaue zu unserer sanft erleuchteten Veranda hinüber. Ich muss stark genug sein, um mich gegen ihre Fragen zu behaupten.
    Meine Mutter packt mich an den Haaren und schüttelt mich erneut, während sie die Worte zwischen den Zähnen hervorstößt.
    «Du dummer,
dummer
Junge! Wir hatten solche Angst. Solche
Angst
, Charlie. Wo bist du hingegangen? Wo bist du gewesen? Was ist
passiert

    Inzwischen haben sich mein Vater und ein Gutteil der Nachbarschaft um uns versammelt. Ich schäme mich so. Für alles. Alle reden über und um mich herum, als wäre ich gar nicht da. Als wäre ich ein Kind, das es nicht besser weiß. Ihre milden Ermahnungen und ihre dämliche Besorgnis regen mich plötzlich nur noch auf. Es ist, als wäre ich von tadelnden Eltern umzingelt. Am liebsten würde ich ihnen gegen die Schienbeine treten, ihnen sagen, dass sie sich verpissen sollen, und auf mein Zimmer rennen. Sie wissen nicht, was ich weiß. Die Lichter hinter mir haben Insekten angelockt. Ich schlage mir eines von der Wange. Irgendein Idiot kniet sich hin, packt mich am Kinn und legt mir die Hand auf den Kopf. Es ist Keith Tostling. Er betrachtet mein Gesicht, vor allem die Augen, als ob er ein verdammter Arzt wäre, was er gar nicht ist. Ich weiß nicht, wen er damit beeindrucken oder hinters Licht führen will, schließlich wissen alle, dass er sein Geld mit dem Scheren von Schafen verdient. Ich schüttle ihn ab und trete einen Schritt zurück, wobei ich mit dem Mann zusammenstoße, der mich an den Schultern festgehalten hat. Ich trete ihm aus Versehen auf den Fuß.
    «He, mach langsam, Junge.»
    Schließlich drängt sich mein Vater nach vorn und legt mir die Hand auf die Schulter. Wieder macht er diese Geste und streicht mir mit dem Daumen über meinen Haarwirbel. Ich habe ihn noch nie mehr geliebt als jetzt.
    Der Sergeant beugt sich zu meinem Vater und sagt ihm, dass sie jetzt gern mit mir reden würden. Mein Vater nickt.
    «Natürlich.»
    Wir gehen ins Haus. Er sieht mich merkwürdig an. Ich kann seinen Ausdruck nicht richtig deuten. Nachdenklich und verwirrt vielleicht. Er sagt kein Wort.
    Ich schaue zu An Lu hinüber, der gerade nach Hause geht. Er hat die Hände auf dem Rücken gefaltet und drückt das Kinn auf die Brust. Ich frage mich, was ihm durch den Kopf geht. Irgendetwas an seiner Haltung überzeugt mich, dass er schlecht von mir denkt. Ich schäme mich so. Ich habe das Gefühl, dass alle hier von mir enttäuscht sind.
    Das ist der Moment, in dem ich einen Entschluss fasse. Mit der Hand meines Vaters auf dem Rücken. Wenn Jasper Jones fortgeht, wenn dieser Schlamassel vorbei ist und er die Stadt verlässt, werde ich mit ihm gehen. Ich werde ebenfalls fortgehen und Corrigan hinter mir lassen. Für immer.

[zur Inhaltsübersicht]
    6
    Man hat mich nicht umgebracht.
    Aber ich wurde gefoltert. Ins Loch geworfen. Und sie haben mich bis heute Morgen in meinem Zimmer

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